Mythen des Krieges: Vom treuen Askari

Mythos Nr. 4: Vom treuen Askari

Askari der 11. Feldkompanie

Vor allem bei den Deutschen sehr beliebt: Das lange Durchhalten der Deutschen sei auch ein Verdienst ihrer afrikanischen Soldaten gewesen, die die Strapazen des Krieges vier Jahre lang geduldig ertragen hätten und selbst als die Lage 1917 aussichtslos geworden sei an der Seite ihre Offiziere weiter kämpften.

Die Zahlen widersprechen diesem Bild: Offiziellen Quellen zufolge desertierten während des Krieges 2 .847 der 13 .430 Askari. Das sind fast ein Viertel der von den Deutschen eingesetzten Truppen. Anders als in Europa, wo die Desertion unweigerlich im Gefangenenlager endete, wechselten viele Askari einfach die Seiten. Ein deutscher Askari drückte dies gegenüber einem belgischen Offizier in sehr klaren Worten aus: „Wir kämpfen, weil uns die Weißen sagen, dass wir kämpfen sollen.Ihr seid die Herren. Heute kämpfen wir für die Deutschen, und wenn morgen die Engländer ankommen, dann kämpfen wir für sie.“ Selbst Lettow-Vorbeck machte sich wenig Illusionen: „Der Eingeborene hat ein feines Gefühl dafür, wann die wirkliche Macht von der einen in die andere Hand übergeht,“ notierte er etwas kryptisch in seinen Erinnerungen.

Sowohl die Alliierten auch als die Deutschen nahmen Überläufer gerne in ihre Reihen auf. Der Bedarf an willigen Rekruten war hoch und die Ansprüche an ihre Loyalität gering. Die europäischen Offiziere gingen nicht davon aus, dass Afrikaner um die Sache der Nation oder eines der vielen hehren Kriegsziele kämpften, die die Europäer für sich beanspruchten. Sie sahen in den Afrikanern Söldner, die eher die Aussicht auf Geld und Status lockte. Ein Großteil der deutschen Truppen am Nyassa-See bestand aus Askari eines vor dem Krieg aufgelösten Bataillons der King’s African Rifles, dem britischen Pedant zu den deutschen Schutztruppen. Als 1916 die Briten ein neues Regiment der King’s African Rifles aufstellten, waren unter den Rekruten viele ehemalige deutsche Askari.

Für die Deserteure war ein Wechsel der Seiten durchaus von Vorteil. Er versprach ihnen in dem von Krieg und Chaos heimgesuchten Land bessere Überlebenschancen. Zivilist zu sein war schon vor dem Krieg für die Afrikaner ein schweres Schicksal, im Krieg bedeutete es der Willkür und Brutalität der Soldaten schutzlos ausgeliefert zu sein.

Askari während der Kampfpause

Desertionen waren häufiger bei neuen Rekruten, seltener bei den altgedienten Askari. Mehr als 10.000 neue Soldaten rekrutierten die Deutschen in den ersten beiden Kriegsjahren. Viele der neuen Rekruten hatten sich freiwillig gemeldet, viele waren jedoch auch zwangsrekrutiert worden. Sie desertierten oft schon in den Ausbildungslagern oder bei ihrem ersten Kampfeinsatz. Die altgedienten Askari hatten beim Abzug der Deutschen viel zu verlieren: Vor dem Krieg genossen sie eine gute Bezahlung, Sozialleistungen wie kostenlose medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung ihrer Familien sowie eine nahezu uneingeschränkte Macht gegenüber der afrikanischen Bevölkerung. Die meisten Askari wurden während des Krieges von ihren Familien begleitet. Das machte die Entscheidung zu desertieren nicht einfacher. Ihr Weg nach Hause führte durch vom Krieg zerstörte und ausgeplünderte Gebiete, in dem ein erbarmungsloser Kampf um die verbliebenen Lebensmittel tobte. Kleinere Patrouillen wurden vor allem im Süden immer wieder von der Bevölkerung angegriffen, einzelne Askari erschlagen.

Frauen der Askari auf dem Marsch

Es gab für die afrikanischen Soldaten, wie im Übrigen auch für ihre Offiziere, viele Möglichkeiten, ihre Teilnahme am Krieg zu beenden. Eine von kriegsmüden Deutschen favorisierte Weise, war sich zu verlaufen. In dem von unübersichtlichen Frontverläufen und Topografien geprägten Krieg war die unvermittelte Begegnung mit dem Feind keine Seltenheit. Ob die anschließende Gefangennahme ein verborgener Akt der Desertion war oder nur ein unglücklicher Umstand wussten nur die Betroffenen selbst. Ein besonderer Fall war die fast einjährige Odyssee der Truppen unter dem Kommando von Max Wintgens. Seine Soldaten hatten ihn Anfang 1917 gezwungen, seine Pläne, sich mit den Hauptkräften Lettow-Vorbecks zu vereinen, aufzugeben und in den Norden der Kolonie zurückzukehren. Dort warteten ihre Familien auf sie.


Warum dieser Mythos? Briten und Franzosen beschuldigten die Deutschen nach dem Krieg als Kolonialmacht versagt zu haben. Dieser Vorwurf lieferte ihnen die Legitimation für die Auflösung des deutschen Kolonialreichs. Die Deutschen nahmen die vermeintliche Loyalität ihrer Asskari als Beweis für den Erfolg und die Popularität ihrer Herrschaft unter den Afrikanern. Mehr als alles andere zeigt dieser Mythos, was die deutsche Herrschaft in Ostafrika war: Die erste moderne Militärdiktatur auf afrikanischem Boden, wo die Männer in Uniformen das Rückgrat und das Sinnbild der kolonialen Ordnung waren.

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