Mythen des Krieges: Lettow-Vorbeck, Teil 3

Umgestürzte Denkmäler: Das Wissmann-
Denkmal in Hamburg, 1945
Die Nachkriegszeit brachte auch für Lettow-Vorbeck eine Zeit der Entbehrungen. Er lebte von einer schmalen Pension und besserte sein Auskommen durch Schnitzarbeiten auf. Laut Eckart Michels erschienen von Zeit zu Zeit Berichte in der Presse übe das karge Leben des einstigen Weltkriegshelden, der nun zum Symbol für den Niedergang Deutschlands wurde. Hilfe kam von seinen ehemaligen Gegner. Auf Druck von Meinertzhagen und Smuts veranlassten die britischen Besatzungsbehörden eine vorzeitige Auszahlung der Rentenansprüche Lettow-Vorbecks. Dies scheiterte jedoch am Widerstand der SPD im Kieler Landtag. Daraufhin richteten die Briten ein Sonderkonto für Lettow-Vorbeck ein.

Der Mythos Lettow-Vorbeck erhielt in den fünfziger Jahren eine neue Wendung. Der mittlerweile über 80-jährige Kriegsheld wurde zu einem Symbol für die vermeintlichen goldenen Jahre des Kaiserreichs. Zugute kam Lettow-Vorbeck auch seine anti-kommunistische Haltung, die im beginnenden Kalten Krieg bald zum guten Ton gehörte. Im September 1956 machte ihn seine Geburtstadt Saarlouis zum Ehrenbürger. Die Stadtväter sahen in Lettow-Vorbeck einen tadellosen Offizier, dessen Leistungen und Ritterlichkeit auch von seinen Gegnern anerkannt worden sei. Die Loyalität seiner afrikanischen Soldaten sei ein Beweis dafür, dass Deutschland sehr wohl eine würdige Kolonialmacht gewesen sei.

Lettow-Vorbecks Beziehungen nach Großbritannien und Südafrika brachten ihm 1953 eine Einladung zu einer mehrwöchigen Reise nach Afrika. Die Deutschen erhofften sich von seiner Reise ein positives Image in der Welt. Das Auswärtige Amt befürchtete zwar unbedachte Äußerungen des Kolonialmilitärs im Hinblick auf Deutschlands Verhältnis zu seinen ehemaligen Kolonien, ließ sich aber von den Organisatoren der Reise, allen voran die „Deutsche Illustrierte“ beschwichtigen. In Südafrika traf Lettow-Vorbeck mit dem südafrikanischen Präsidenten Malan, der in jenen Jahren die Grundlagen für die Apartheid schuf. Beide Männer waren sich in ihrer positiven Sichtweise auf den europäischen Kolonialismus und in ihrem Anti-Kommunismus sehr nahe. Weitere Stationen führten ihn nach Portugiesisch-Ostafrika, Tanganyika und Kairo.

Als Lettow-Vorbeck im März 1964 starb, lag auch der europäische Kolonialismus längst auf dem Totenbett. Mit Malawi und Sambia, dem ehemaligen British-Nyassaland und Nordrhodesien, ging das 24. und 25. afrikanische Land in die Unabhängigkeit.

Das Ende der europäischen Kolonialreiche ging nahtlos in die Auseinandersetzungen des Kalten Krieges über. Befreiungskriege wie in Indochina mündete in Konflikte des Kalten Krieges. Die europäischen Kolonialmächte wurde von den Supermächten abgelöst. Deren Erfahrungen mit asymmetrischen Kriegen waren begrenzt. Als die Amerikaner während des Vietnamkriegs nach Antworten auf die richtige Strategie gegen die Guerilla des Vietcong suchten, hofften sie diese auch bei Lettow-Vorbeck zu finden. Dessen Strategie im Ersten Weltkrieg galt als Musterbeispiel für einen asymmetrischen Krieg. Amerikanische Offiziere studierten die Werke des deutschen Kolonialoffiziers und schrieben Abhandlungen über Guerillakriege, die auf seinen Taktiken und Strategien beruhten.

Asymmetrische Kriege: Vietnam- Helikopter gegen....

... Fahrräder (auf dem Ho Chi Minh Pfad)
Das hat sich bis heute nicht geändert. Mehr noch: Mit dem Krieg gegen den Terror erachten amerikanischen Offiziere Lettow-Vorbeck als aktueller denn je. In einer Abschlussarbeit der School of Advanced Military Studies des United States Army Command and General Staff College in Fort Leavenworth betont der Offizier Kenneth P. Adgie die Aktualität Lettow-Vorbecks:

„This monograph analyzed whether Lieutenant Colonel Paul von Lettow-Vorbeck used operational art to defeat British forces in the East African campaign of World War I. British forces were superior in quantity of men and equipment, but slow moving and heavily dependent on secure lines of communication. Lettow-Vorbeck’s forces maintained an asymmetric advantage in mobility, knowledge of terrain, and responsive logistics. An analogy was suggested that the U.S. Army in the twenty-first century is similar to British forces in 1914, and the nation’s future adversaries could potentially use Lettow-Vorbeck’s unconventional warfare and asymmetric tactics woven together in a comprehensive campaign plan.“ (Adgie 2001)

Die 68iger forderten auch eine neue Auseinandersetzung 

mit der kolonialen Vergangenheit


Der Vietnamkrieg entfachte eine Welle von Protesten in Amerika und Europa. Studenten erklärten sich mit den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt solidarisch und forderten grundlegende Veränderungen in Gesellschaft und Politik des Westens. Die 68iger Bewegung in Deutschland hinterfragte die Vergangenheitsbewältigung ihrer Elterngeneration. Dabei ging es zunächst um den Nationalsozialismus, doch bald wurde auch die koloniale Vergangenheit der Deutschen aus dem Schlaf des Vergessens gezerrt. Lettow-Vorbeck, der wie kein zweiter diese Vergangenheit verkörperte, wurde erneut zum Angelpunkt der Debatte um die Deutschlands Kolonialreich. Sie dauert bis heute an. Vornehmlich geht es um die Deutungshoheit über den öffetlichen Raum: um Kolonialdenkmäler, die Namen von Straßen und Gebäuden. Besonders heftig war der Kampf um die Umbenennung der Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg. 2006 scheiterte ein Antrag einer Umbenennung des nunmehr leer stehenden Komplexes. Im Dezember 2011 verhinderte die Polizei eine Aktion für einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem kolonialen Erbe Hamburgs.

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