Mythen des Kriegs: Ein Krieg der Offiziere?

Mythos Nr. 3: Ostafrika war ein Krieg der Offiziere


Während der Gefechte bei Kato am Victoria-See soll es zu einem Duell zwischen dem deutschen Offizier Gudovius und dem Belgier Rouling gekommen sein. Von Angesicht zu Angesicht sollen sich beide gegenübergestanden und für einige Minuten ihre Pistolen aufeinander abgefeuert haben. Rouling von fünf Schüssen getroffen, so die Legende, habe standgehalten und mit seinem Vorbild seine Soldaten zum Sturm auf die deutschen Stellungen vorangetrieben. Dieses Thema findet sich in vielen europäischen Schilderungen des Krieges. Eines haben alle gemeinsam: Nur der persönliche Mut und die Führungsstärke des Offiziers entschieden über Sieg oder Niederlage.


Warum dieser Mythos? Dieser Mythos ist nicht gerade neu und auch nicht spezifisch für den Krieg in Afrika. Dennoch hatte er hier eine besondere Funktion: Vor allem bei den Deutschen und Belgiern waren die Mehrzahl der Soldaten Afrikaner. Nur die Briten setzten in den ersten drei Kriegsjahren auf europäische, südafrikanische oder indische Truppen. So hatten die Beziehungen zwischen Soldaten und Offizieren oft auch eine koloniale Seite. Auch wenn die Askari gut ausgebildet und motiviert waren, so waren sie keine deutschen Soldaten und würden auch niemals welche werden. Ihre Offiziere hielten sie bestenfalls für Kinder, die durch eine harte Hand geleitet werden müssten. Schlimmstenfalls befürchteten sie, dass unter dem dünnen Firnis der Disziplin immer noch die Bestie des Wilden lauere und jederzeit wieder hervorbrechen könne. Es sei denn ein deutscher Offizier wisse dies zu verhindern. Oder auch ein britischer oder belgischer. (Mehr dazu...)

Die europäische Kolonialherrschaft in Afrika war auch ein Kampf zwischen zwei Männerwelten. Schon viele der ersten Europäer, die im 19. Jahrhundert nach Afrika kamen, führten einen virulenten Krieg um den Titel des besten Jägers oder besten Athleten. Der Forschungsreisende Hermann Wissmann lieferte sich in den 1880ern Jahren einen fulminanten Wettstreit mit zanzibarischen Händler um die Krone des Schützenkönigs, der Ethnologe Karl Weule veranstaltete einen Wettkampf im Gewichtheben mit seinen Trägern. Das war das Ergebnis einer eher kuriosen Lesart des Sozialdarwinismus: Der bessere Jäger oder Krieger war auch der legitimere Herrscher. Nicht wenige Europäer waren davon überzeugt, das dies eine Sicht der Welt sei, die auch die Afrikaner teilen konnten. (Mehr dazu...

Die Realität sah allerdings etwas anders aus. Trotz ihrer besseren Waffen waren die Europäer nicht automatisch die besseren Jäger und die preußischen Kadettenanstalten brachten nicht immer Modellathleten hervor. Wie die Jäger und Reisenden im 19. Jahrhundert verirrten sich die europäischen Offiziere oft im Busch und wären ohne die Afrikaner wohl rettungslos verloren gewesen. So etwa geschehen im ersten größeren Gefecht des Krieges bei der Einnahme des britischen Dorfes Taveta Mitte August 1914. Während die Askari der regulären Schutztruppenkompanien den Ort nach einem kurzen Feuergefecht einnahmen, irrten die Freiwilligenverbände deutscher Siedler und Beamter im nahen Wald umher, ohne in die Kämpfe eingreifen zu können.

Lettow-Vorbeck hatte ein Einsehen mit den Deutschen und stellten ihnen die Askari zur Seite. Die Freiwilligeneinheiten wurden aufgelöst und die Deutschen in die Schutztruppeneinheiten übernommen. Die offizielle Begründung sprach von einer Stärkung der Kampfkraft der Schutztruppenkompanien durch die Erhöhung des Europäeranteils, aber zeitgenössische Quellen sprechen auch von großen Schwierigkeiten der deutschen Freiwilligen, sich im Krieg zurechtzufinden bis hin zum Versagen. So beklagte ein deutscher Arzt, dass das Verhalten einiger Offiziere in den Kämpfen um Tanga im November 1914 keinen guten Eindruck auf die Afrikaner gemacht haben musste.

Das Ideal des Offiziers...

Das war keineswegs überraschend. Die deutschen Freiwilligen mochte zwar vielfach eine militärische Ausbildung genossen haben, die lag aber in vielen Fällen schon einige, wenn nicht gar zu viele Jahre zurück. Die teilweise doch sehr betagte Herren konnten den professionellen Soldaten der Schutztruppe kaum das Wasser reichen. Mehr als zwanzig Jahre fast ununterbrochener Kämpfe gegen widerständige Afrikaner hatten sie bestens auf diesen Krieg vorbereitet. Das bequeme Leben eines Beamten oder Siedlers in der Kolonie trug dagegen weniger zur Vorbereitung auf den Krieg bei.

... und die nicht so ideale Realität.
Der Krieg war daher nicht nur ein Krieg der Offiziere, sondern auch der afrikanischen Unteroffiziere. Die deutschen Offiziere hatten bereits in den ersten Wochen des Krieges einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Lettow-Vorbeck hatte keinen Ersatz für sie. Daher wuchs die Bedeutung und Verantwortung der afrikansichen Unteroffiziere mit jedem Tag des Krieges, mit jedem gefallenen Offizier. Sie führten nicht selten die kleinen Patrouillen an, die den Alltag des Krieges bestimmten. 


Die Force Publique auf dem Marsch


Das war nicht viel anders bei der belgischen Force Publique. In Vorbereitung auf ihre Offensive Mitte 1916 hatten das belgische Oberkommando das Offizierkorps durch Offiziere aus der Metropole verstärkt. Einige kamen direkt von den Schlachtfeldern Flanderns. Sie waren zwar hochmotiviert, doch ihnen fehlten die Erfahrungen für diesen Krieg, der in so vielen Belangen ganz anders war als das was sie von Europa her kannten. Viele waren sehr jung und teilweise mit der Führung ihrer afrikanischen Soldaten überfordert. Die gehörten zweifellos zu den kampferprobtesten Soldaten, über die Belgier zu Beginn des Krieges verfügten. Sie hatten unzählige Feldzüge gegen afrikanische Krieger, Sklavenhändler und gegen Meuterer aus den eigenen Reihen zu geführt. Vor allem die älteren Generationen der Bulamatari, wie sie in Afrika genannt wurden, waren sich wohl um ihre Bedeutung für die belgische Herrschaft bewusst. Immer wieder hatten sie dies den Belgiern in Erinnerung gebracht. Meutereien und Befehlsverweigerungen der Bulamatari waren beileibe keine Seltenheit in der Geschichte des belgischen Kongo. Auch während des Ersten Weltkrieges gelang es den Belgiern nur schwer, die Bulamatari in den Griff zu bekommen. Einige Offiziere hatten schlicht Angst vor ihren Soldaten, häufig kam es zu Vorfällen, in denen die Bulamatari ihre Offiziere bedrohten. (Mehr dazu...

Die Bulamatari führten den Krieg daher oft auf ihre eigene Weise. Als Führer von Patrouillen hatten die kongolesischen Unteroffiziere oft freie Hand, um zu plündern und zu vergewaltigen. Das Oberkommando war weit entfernt und die Kommunikationslinien brüchig. So war der Krieg für die afrikanische Zivilbevölkerung ein Krieg der kongolesischen Soldaten, der sich kaum von der Brutalität der kolonialen Eroberung oder der Kriege um Sklaven und Elfenbein im 19. jahrhundert unterschied. 


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