Bericht über ein Angriff auf britische Stellungen am Tsavo-Fluss, 26.9.1914

Ende September wurden die Kämpfe im Nordosten der Kolonie, vor allem in der Kilimajaro-Region, härter. Für ostafrikanische Verhältnisse nahmen an diesen Kämpfen nun größere Verbände teil. Dafür war vor allem die Ankunft indischer Truppen und der Sieg der „Kriegspartei“ von Lettow-Vorbeck verantwortlich. Der Gouverneur der Kolonie, Heinrich Schnee, immer noch formell der Oberbefehlshaber der Truppen, geriet immer mehr ins Abseits. Lettow-Vorbeck dagegen konnte seine Vision einer „offensiven Verteidigung“ nun ungehindert durchsetzen. Das im Bericht geschilderte Gefecht ist ein Paradebeispiel dieser Taktik. Den Deutschen ging es weniger darum, britisches Territorium zu besetzen, als die Briten zu beschäftigen und ihre Stärke auszutesten. Das Gefecht endete daher weder mit einer Niederlage noch einem Sieg, wohl aber mit der Erkenntnis, dass die leichten Erfolge des Monats August so einfach nicht zu wiederholen waren.

Der Bericht enthält einen wichtigen Verweis auf Kriegsverbrechen. Der Verfasser des Berichts beschuldigt britische Truppen, die Fahne des Roten Kreuzes missachtet und Verwundetentransporte beschossen zu haben. Im September 1914 hatte die europäische Debatte um Kriegsverbrechen auch die Kolonien erreicht. Fortan sollten beide Seiten sich in gegenseitigen Beschuldigungen üben. Das war für den kolonialen Kontext durchaus eine Novität. Erstmals, so scheint es, galten auch afrikanischem Boden Regeln für eine humanere Kriegsführung.  



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Bericht über das am Tsavofluss (Mündung des Loldureish) am 26. September 1914 stattgehabte Gefecht.

Führer: Hauptmann Schulz.
Gegner: Etwa 400 – 500 Gewehre, bestehend aus etwa 2 Kompagnien Inder, 1 Kompagnie
Somali, 50 Europäern, 3 Maschinengewehren, 1 – 2 kleineren Geschützen.
Expeditionsbefehl:
Die 4. Feldkompagnie hatte den Befehl erhalten, nach Tsavo hin aufzuklären und die Kyulu-Berge von feindlichen Postierungen zu säubern. Am 25. September war die 4. Feldkompagnie auf stärkere feindliche Kräfte an der Mündung des Loldureisch-Flusses in den Tsavo gestossen. Da sie sich zu schwach fühlte, allein diesen Feind anzugreifen, entschloss sich Hauptmann Schulz, mit seiner Abteilung und der 4. Kompagnie den Angriff zu unternehmen.

Truppeneinteilung : (zugleich Marschordnung)
Vorhut 4. Kompagnie   Führer Hauptmann Rothert,
Patrouillenkorps            – – Oberleutnant Steinhäuser,
13. Kompagnie 1. Zug  – –             – –     Gaethgens,
Maschinengewehrabteilung
der 13. Kompagnie        – – Leutnant Langen

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2. Zug                    Führer Leutnant von Oppen
Nachspitze               – –       – –        Ott und 8 Mann
Bewaffnung: Karabiner 98.

Für den verwundeten Kompagnieführer
gez. Langen, Leutnant.

Das Gelände an dem Einfluss des Loldureisch in den Tsavo ist mit dichtem Dornbusch bedeckt. Westlich des Loldureisch-Flusses lichtet sich der Busch: doch ist die Bewachsung selbst so stark, dass ein gedeckter Anmarsch unmöglich war. In dem spitzen Winkel zwischen beiden Flüssen befindet sich eine ziemlich freie, mit erstarrter Lawa bedeckte Kuppe. Auf dem Ostufer des Loldureisch zieht sich von Norden her ein sehr flacher Rücken zum Tsavo herab. Dieser ist gleichfalls mit Busch bedeckt. Südlich des Tsavo befindet sich sehr dichter Busch, der eine Verwendung von .Maschinengewehren gegen die engl. Stellung ausschliesst. Beide Flüsse sind tief eingeschnitten und führen stark fliessendes Masser. Der Tsavo ist etwa 12 m breit und 1,40—1,80m
tief, der Loldureisch etwa 10m breit und 1,30—1,60 m tief.
Am 25.9. Mittags erhielt die etwa an der Biegung des Tsavo (nach Osten) lagernde 13. Feldkompagnie durch die 4. Feldkompagnie die Nachricht, dass sich an der Mündung des Loldureish in den Tsavo der Feind in befestigter Stellung aufhalte. Offizier-Patrouillen der 4. Kompagnie seien beschossen, der Lagerplatz der 4. Kompagnie nach dem Abmarsch derselben durch Maschinengewehre unter Feuer genommen.
Auf Grund weiterer Meldungen über starkes Gewehrfeuer in Richtung auf die 4. Kompagnie rückte die 13. Kompagnie mit dem Patrouillenkorps und Abteilung Frhr. v. Bock am 26. 9. 14 7.00 vorm, der 4. Kompagnie entgegen, in der Absicht, einen Maschinengewehrüberfall auf das feindliche Lager auszuführen.
Die Kompagnie marschierte in Stärke von 2 Zügen und 4 Maschinengewehren (7 Offiziere, 1 Arzt, 9 Unteroffiziere, 2 sonstige Europäer, 100 Askari, 29 Kompagnieträger) ohne Gepäck und Verpflegung, um auf alle Fülle ins Standlager zurückzukchren und dort die 600 für weitere Truppen eingetroffenen Verpflegungslasten für die die 13. Kompagnie verantwortlich war, zu schützen. Um 8.30 vorm. traf die Kompagnie mit der 4. Kompagnie zusammen. Die Leutnants Kaufmann und Götz der 4. Kompagnie erhielten hier vom Hauptmann Schulz Befehl, die Anmarschwege zur feindlichen Stellung, sowie diese selbst zu erkunden.
Leutnant Langen, der Führer der Maschinengewehrabteilung der 13. Kompagnie, erhielt Befehl, Stellungen für die Maschinengewehre festzulegen und persönlich Meldung zu erstatten.

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Die Abteilung Frhr. v. Bock wurde der 4. Kompagnie zugeteilt. Um 12.00 mittags traten die beiden Kompagnien mit dem Patrouillenkorps in vorstehender Truppeneinteilung den Vormarsch an.
Um 1.35 nachm. traf die mündliche Meldung des Leutnant Kaufmann ein, dass sich auf dem rechten Ufer des Tsavo hart an der Loldureish-Mündung zwei engl. Lager befänden. Die Stärke
des Feindes betrage wahrscheinlich 1 Zug, höchstens 2 Züge und 1 Maschinengewehr; 2 Schützengräben seien vorhanden, doch dies seien Scheinstellungen.
Um l.45 nachm. traf Leutnant Langen mit der Meldung (Gegner feuert Salven und mit 1 Maschinengewehr. Stärke des Gegners unbekannt) ein.
Daraufhin befahl Hauptmann Schulz den weiteren Vormarsch, gleichzeitig ordnete er an, dass die Kompagnie auf alle Fälle vor Dunkelheit nach dem alten Lager zurückzukehren habe. Um 2.10 nachm. traf die Spitze am Loldureish ein. Die Maschinengewehre der 4. Kompagnie erhielten Befehl, diesseits des Loldureish in Stellung zu gehen. 2.15 eröffnete der Gegner das Feuer.
Unter dem Schutze eines Halbzuges überschritt der erste Maschinengewehrzug der 13. Kompagnie (Konrad und Braun) den Fluss und erhielt von mir den Befehl, nahe am Ufer in Stellun gzu gehen und das Feuer auf den Gegner zu eröffnen. Beide Gewehre erhielten starkes Feuer.
Unterdessen überschritt ein weiterer Zug der 4. Kompagnie den Loldureish und ging links von den Maschinengewehren in Stellung. Es folgte der 2. Maschinengewehrzug der 13. Kompagnie (Thöt und Mann). Ich befahl ihm, etwa 80 m links von dem 1. Maschinengewehrzug in Stellung zu gelten. Das Feuer wurde auf etwa 400—500 m aufgenommen.

Deutsche Truppen mit Artillerie auf dem Marsch
Da währenddessen die Schützen der 4. Kompagnie, die selbst lebhaft beschossen, den Gegner nicht sehen konnten, vorgegangen waren, befahl ich den Leutnant v. Knebel-Döberitz mit dem 2. Maschinengewehrzug in die Schützenlinie vorzugehen.
Da ferner der 1. Maschinengewehrzug links durch die Schützen der Kompagnie, rechts durch ebenfalls vorgehende eigene Truppen (auf dem andereren Ufer) in seinem Feuer behindert war, liess
ich auch ihn Stellungswechsel vornehmen und zwar Maschinengewehr Konrad zur Unterstützung des 2. Maschinengewehrzuges.
Dort hatte Maschinengewehr Mann durch Verschieben dir Patronen in den Gurten während des Marsches häufig Ladehemmungen und war zeitweise ausser Gefecht.
Währendessen hatte der Feind seinen rechten Flügel verlängert und beschoss auch die Maschinengewehre aus der linken Flanke durch ein Geschütz. Hiergegen wurde Maschinengewehr Braun auf dem rechten Flügel eingesetzt.

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in dieser Stellung war das Feuer des Gegners besonders lebhaft. Einzelne Gewehre, Salven, Maschinengewehr und Geschützfeuer waren deutlich zu unterscheiden. Der Gegner selbst war auch hier nur vereinzelt sichtbar, da er sich hinter Steinen, Büschen und in Gräben sehr gut verbarg. Doch gelang es den Maschinengewehren, durch gemeinsames Feuer den Gegner häufig für kürzere Zeit zum Schweigen zu bringen.
Inzwischen marschierte der 1. und 2. Zug der 13. Feldkompapnie vor. 2.55 nachm, erhielten sie Feuer aus der rechten Flanke, Ein Gegner wurde nicht gesehen Da der dichte Dornbusch eine Entwickelung nach rechts verhinderte, wurde der Marsch gedeckt fortgesetzt. Inzwischen überbrachte Oberstleutnant Frhr. v. Bock den Befehl, die Züge sollten halten und auf weitere Befehl des Hauptmann Schulz warten.
Hauptmann Schulz war nahe den Maschinengewehren der 4. Kompagnie (rechtes Loldureishufer) vorgegangen, um die Wirkung des Maschinengewehrfeuers zu beobachten. Er beabsichtigte, die Züge nur im Notfall einzusetzen. Da indessen das Feuer gegen die beiden Züge der 13. Kompagnie heftiger wurde, jetzt auch von rechts vorwärts, besetzen sie eine Höhe, der 1. Zug links, der 2. Zug rechts.

Deutsche Truppen in Reservestellung am Kilimanjaro

Unter sehr heftigem Feuer von der Höhe, auf der in ausgezeichnet gedeckter und verschanzter Stellung der Gegner auf einer Entfernung von etwa 400 m lag, wurde abschnittweise vorgegangen, ln vortrefflicher Feuerdisziplin lagen die beiden Züge, ohne das unsererseits das Feuer wirksam wegen der Unkenntlichkeit der feindlichen Schützen erwidert werden konnte, auf der mit Gestein und vereinzelten Büschen bedeckten Höhe.
Bei der geringsten Vorwärtsbewegung eines Schützen konzentrierte sich ein heftiges Feuer auf diese. Da erkannt wurde, dass von hier aus eine Wirkung nicht erzielt werden konnte, wurde von Oberleutnant Gaethgens der Entschluss gefasst, die Stellung mehr nach rechts zu legen, um wirksamer gegen die linke Flanke des Gegners vorzugehen und ihn womöglich zu umfassen.
Hauptmann Schulz, der sielt während des Gefechtes im stärksten feindlichen Feuer aufgehalten hatte, und selbst nach seiner schweren Verwundung noch eine ½ Stunde das Gefecht am rechten Flügel leitete, hatte inzwischen erkannt, dass mit den vorhandenen Kräften die Stellung des Gegners, die durch Natur und künstlichen Ausbau aufs stärkste befestigt war, nicht zu nehmen sei.
Er gab deshalb 3.50 nachm. den Befehl, sich vom Gegner zu lösen und den Marsch nach dem am Tsavo gelegenen alten Lager der 13. Kompagnie anzutreten. Der Rückmarsch erfolgte unter starkem feindlichen Feuer. Hauptmann Schulz liess persönlich die Züge in Deckung antreten. Dann wurde in aller Ordnung der

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Rückmarsch angetreten. Vom 2. Zuge waren Betschausch Pumilla mit 2 Askari zurückgeblieben, um ein stark gefährdetes Maschinengewehr der 4. Kompagnie zuriickzuholen. In voller Ordnung wurde abmarschiert. 6.30 abends trafen beide Züge im Lager ein.
Die Verbindung zum linken Ftügel war inzwischen abgebrochen. Mehrfache Versuche, sie wieder aufzunehmen scheiterten.
Die Maschinengewehre der 13. Kompagnie feuerten hier unterdessen unter einheitlicher Leitung. Trotz des immer mehr anschwellenden feindlichen Feuers war bei allen Gewehren die Feuerdisziplin musterhaft. Da in den Pausen erkannt wurde, dass an unserem rechten Flügel das Feuer schwächer und schwächer wurde, der Gegner dagegen das Feuer mehr und mehr hierher konzentrierte, ohne indes Erfolge zu zeitigen, so entschloss ich mich, die Maschinengewehre aus dem Kampfe zu ziehen und den Rückmarsch anzutreten, um auch gemäss Befehl vom Abteilungsführer noch vor Dunkelheit im Lager anzukommen. Ich bat Herrn Hauptmann Kodiert, der den Befehl Ober die dortigen 1 ½ Züge der 4. Kompagnie führte, den Rückzug der Maschinengewehre zu decken.
Nacheinander liess ich 4.50 nachm, die Maschinengewehre einzeln nach Nordwesten zurückgehen. In vollster Ordnung überschritten sie auf einem Steg oberhalb der alten Uebergangsstelle den Loldureish und marschierten gedeckt durch Askari zum Lager zurück. Verluste sind nicht entstanden; nur das Maschinengewehr Thöt verlor beim Rückzug den Werkzeugkasten. Ohne verfolgt zu sein, trafen die Maschinengewehre 7.30 nachm. im Lager ein.
Nach Beobachtung betrug die Stärke des Gegners etwa 2 Inderkompagnien, 1 Sonialikompagnie, etwa 50 Europäern, zusammen 400 – 500 Gewehre, 3 Maschinengewehre, 1—2 kleinere Geschütze.
Nach Aussage eines von den Engländer, gefangenen und wieder entlaufenen Boys sollen die Verluste des Gegners an Toten 10 Europäer und 20—30 Farbige betragen, lieber die Anzahl der
Verwundeten ist nichts bekannt.
Assistenarzt Dr. Hauer traf erst um 12.00 nachts im Lager ein. Er hatte den verwundeten Feldwebel Röhrig der 4. Kompagnie verbunden und konnte erst in Dunkelheit unter Askaribedeckung den Rückmarsch antreten. Er ist unterwegs trotz des Genfer Kreuzes mehrfach beschossen. Seiner Umsicht ist der Rücktransport des Kranken zu danken.
Das Verhalten der Europäer und der Askari der 13. Kompagnie war in jeder Beziehung musterhaft. Besonders ist auf die in jeder Lage bewiesene hervorragende Disziplin hinzuweisen.
Ein Durchbruch durch die befestigte Stellung der Engländer nach Tsavo ist auch mit stärkeren Kräften unausführbar, da eine Möglichkeit zur Entwickelung infolge der zahlreichen vom Feinde

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beherrschten Engpässe und der starken englischen Streitkräfte nicht vorhanden ist. Der Gegner wird immer in der Lage sein, von höher gelegenen und befestigten Stellungen aus den Vormarsch einer
Truppe zu hindern.
Für den verwundeten Kompagnieführer
gez. Langen,
Leutnant

(Quelle: Deutsch-Ostafrika. Kaiserliches Gouvernement, Zusammenstellung Der Berichte Über Die in Den August, September, Oktober 1914 Stattgefundenen Gefechte Der Kaiserlichen Schutztruppe Für Deutsch-Ostafrika,  (Morogoro: Regierungsdruckerei, n.d. [1914]).)


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