Die Besetzung von Kisii durch deutsche Truppen, 11.9.1914

Der Bericht beschreibt den Vorstoß deutscher Truppen auf die kenyanische Stadt Kisii, 70 Kilometer von der Grenze entfernt. Die kurzzeitige Einnahme der Stadt war eine der spektakulärsten Offensivaktionen der Deutschen im ersten Jahr des Krieges, wenn nicht während des ganzen Krieges. Die Besetzung der Stadt dauert allerdings kaum einen Tag und die Deutschen mussten ihren Vorstoß mit großen Verlusten bezahlen, obwohl sie zahlenmäßig überlegen waren. Die deutschen Truppen wurden von zwei der besten Offiziere Lettow-Vorbecks , Hauptmann von Bock und Oberleutnant von Haxthausen, befehligt.
Der Bericht ist auch wegen der Einblicke in die Taktik und Truppenzusammenstellung der Deutschen interessant. Im September hielten die Deutschen noch an einer Trennung von deutschen und afrikanischen Truppen fest. Der Bericht bezeichnet die Abteilung der deutschen Kriegsfreiwilligen als „Europäerzug“: In einem Krieg, der unter dem Banner der Nationen gefochten wurde, eine zumindest sprachlich interessante Abweichung, die auf die Bedeutung kolonialer Muster auch 1914 hinweist.
An den Kämpfen nahm auch eine Ruga-Ruga-Kompagnie teil. Anders als in den Kämpfen am Nyassa-See waren die Ruga-Ruga hier stark in die regulären Truppen integriert. Sie wurden von deutschen Offizieren befehligt, 20 Askari füllte ihre Reihen auf. Darüber hinaus verfügten sie über zwei Maschinengewehre, ein untrügliches Zeichen für die hohe Bedeutung, die ihnen die Deutschen zumaßen. Die Ruga-Ruga-Kompagnie dürfte sich daher kaum von den regulären Einheiten der Schutztruppe unterschieden haben. Vermutlich fungierte sie in etwa wie eine Kadetteneinheit, die größtenteils aus neuen Rekruten bestand. Diese Rekruten waren oft ehemals Krieger an den Höfen afrikanischer Chiefs, die die Deutschen vor dem Krieg militärisch ausgebildet hatten. (Mehr über Ruga-Ruga hier)
Die Ruga-Ruga-Kompagnie war zunächst nur für die Bewachung der Lasten vorgesehen, griff aber im Laufe des Tages in die Kämpfe ein, wo sie zusammen mit dem „Europäerzug“ einen Angriff auf britische Stellungen durchführte.
Bemerkenswert ist auch die Rolle des afrikanischen Unteroffiziers, des Sols. Er spielte bei den Angriffen auf die Briten eine herausragende Rolle. Der Bericht deutet daraufhin, dass er während der Kämpfe ein hohes Maß an Initiative und Entscheidungsfreiheit hatte, da die Kommunikation mit dem Kommandeur nicht immer gegeben war.
Der Bericht beklagt die starke Rauchentwicklung der M71 Gewehre, mit denen die Truppen zu Beginn des Krieges größtenteils noch ausgerüstet waren. Der Verlauf der Kämpfe zeigt in der Tat, dass die Klagen der Offiziere berechtigt waren, gaben sie den Briten doch einen wichtigen Vorteil.



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Bericht über das am 12. 9. 14 stattgehabte Gefecht bei Kisii.

Führer: Hauptmann v. Bock.
Gegner: Etwa 100 Engländer, 1 Kompagnie Inder und mindestens 1 Kompagnie englischer Askari, alle mit modernen Gewehren bewaffnet und 2 Maschinengewehre.
Truppeneinteilung. 1. ) Europäerzug Führer Oberleutnant Bucher. 34 Gewehre. 2. ) 7. Kompagnie. Führer Hauptmann v. Bock. 10 Europäer. 246 Askari einschliesslich Chargen. 3. ) Ruga-Rugakompagnie. Führer Oberleutnant v. Haxthausen. 8 Europäer. 20 Kompagnieaskari. 101 Ruga-Ruga. Gesamtstärke 419 Köpfe. Der 7. Kompagnie zugeteilt: 2 Maschinengewehre, 1—3,7 S. K. Der Ruga-Rugakompagnie 1 Maschinengewehr. Ausserdem 27 Kompagnieträger.

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Das Detachement traf am 11. September 7 Uhr vormittags nach siebenstündigem Nachtmarsch vor Kisii ein und besetzte es, ohne Widerstand zu finden. Die Patrouille Leutnant Bender traf um 11 Uhr vormittags von Karungu ein, welches am 9. September ohne Widerstand besetzt wurde. Am 9. September 12 Uhr mittags war von der Patrouille der englische Dampfer „Sybill“ oder „Winifred“ au[ 800 m mit dem Maschinengewehr mit gutem Erfolg beschossen worden. Der Dampfer fuhr in nördlicher Richtung davon ohne das Feuer zu erwidern.
12. September. Um 10 Uhr 50 vormittags brachten Eingeborene die Nachricht, die Engländer seien im Anmarsch. Es wurde auf der Strasse Kaden Richtung Kisumu eine Radfahrerpatrouille entsandt; gleichzeitig erhielt Leutnant Bender mit einem Maschinengewehr und dem ersten Zug 7. Kompagnie den Befehl, in nördlicher Richtung vorzugehen.
11 Uhr 25 vorm. erhielt die Abteilung Bender Maschinengewehrfeuer von den Höhen nördlich Kisii auf 1800 m. Das Feuer wurde sofort mit dem Maschinengewehr erwidert, während der Zug sich rechts davon zum Angriff entwickelte. Die Askaris befanden sich in brusthohem, verwachsenem Gestrüpp, das ein ordnungsmässiges Vorgehen sehr erschwerte. Sobald sich der Zug entwickelt hatte, bekam er auch Gewehrfeuer, anscheinend aus derselben Entfernung. Das Feuer konnte wegen der grossen Entfernung um so weniger erwidert werden, als die feindliche Stellung in dem dichten Gestrüpp sich durch nichts verriet. Der Zug arbeitete sich an die feindliche Stellung heran, immer ohne zu feuern, unter vorläufig nicht schweren Verlusten.
11 Uhr 45 vorm, als der Zug noch etwa 1000 m von der feindlichen Stellung entfernt war, griff das Detachement ein.
Auf das Maschinengewehrfeuer hin rückte das Detachement durch einen Eukalyptuswald gedeckt vor. Der dritte Zug der Ruga-Ruga-Kompagnie und die Kompagnieträger blieben vor dem Lager zur Verfügung des Detachementsführers in Reserve und übernahmen gleichzeitig den unmittelbaren Schutz der Lasten. Unterwegs passierte das Detachement einen freien Platz im Maschinengewehrfeuer im Marsch-Marsch. Verluste entstanden hierbei nicht. Der Detachementsführer befahl den Angriff und liess die Ruga-Ruga-Kompagnie links vom Zuge Bender vorgehen.
Der Europäerzug wurde links von der Ruga-Ruga-Kompagnie, welcher ein Maschinengewehr zugeteilt war, eingesetzt, um ein Umfassen des linken Flügels, welches der Gegner augenscheinlich
plante, zu verhindern.

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Rechte vom Zuge Bender wurde der Zug Kolter (3. Zug 7. Kompagnie) eingesetzt. Der Zug Weber (2. Zug 7. Kompagnie) erhielt den Auftrag rechts umfassend anzugreifen. Das dritte Maschinengewehr unter Sanitäts-Vizefeldwebel Altermath und die 3,7 cm S. K. unter Oberleutnant Micknat wurden etwa 200 m rechts vorwärts des Eukalyptuswaldes auf einer Hügelwelle aufgestellt, mit dem Auftrag, den Angriff des Detachements zu unterstützen.
Der Detachementsführer begab sich in Begleitung des Oberleutnants Schulz und des Stabsarztes Dr. Koch zunächst zur Maschinengewehr- und Geschützstellung und folgte dann dem Zug Köller, um das Vorgehen des rechten Flügels zu beobachten.
Von hier aus befahl der Detachementsführer der 3,7 S. K., welche etwa 1600 m von der feindlichen Stellung entfernt war, weiter vorzugehen, da die Entfernung viel zu gross war, um
Wirkung zu erzielen. Sofort nach dem Stellungswechsel fiel Oberleutnant Micknat, nachdem das Geschütz nur wenig Schüsse abgefeuert hatte. Die ausserordentlich starke Rauchentwicklung
zog sofort die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich, der das Geschütz mit Salvenfeuer überschüttete. Ganz besonders ungünstig war die dicke, feuchte Luft, welche den Rauch auch bei den Askarigewehren etwa 5 bis 10 Sekunden lang festhielt, so dass das Zielen für den Gegner sehr erleichtert wurde.
Die Ruga-Ruga-Kompagnie besetzte den Nordrand des Eukalyptuswäldchens mit dem Maschinengewehr, Zug Bullinger links davon, zurückgebogen Zug Thiem und die Europäer.
12 Uhr 5 Minuten nachm. Der in Reserve gehaltene dritte Zug der Ruga-Ruga-Kompagnie wurde von Oberleutnant v. Haxthausen, der einen starken angreifenden Gegner die linke Flanke
umfassen sah, herangeholt und zur Verlängerung links eingesetzt.
12 Uhr 10 Minuten nachm. Das Maschinengewehr der Ruga-Ruga-Kompagnie wurde, nachdem es ½ Gurt verfeuert hatte, zerschossen und war unbrauchbar. Der Gewehrführer wurde verwundet.
12 Uhr 30 Minuten nachm. Der englische Angriff kam 50 Schritt vor der Feuerlinie zum Stehen. Oberleutnant v. Haxthausen machte mit der Ruga-Ruga-Kompagnie und dem Europäerzug, dessen Führer, Oberleutnant Bücher, bereits um 12 Uhr 15 gefallen war, einen Gegenangriff, den die Engländer nicht annahmen. Sie flüchteten unter starken Verlusten in den Wald nördlich.
12 Uhr 35 Minuten nachm. Infolge grosser Verlusste kam das Gefecht vorm Eukalyptuswäldchen zum Stehen und wurde erst 6 Uhr 45 Minuten abends hier auf Befehl des Detachementsführers abgebrochen.

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3 Uhr nachm, hatten sich die Züge Bender und Köller auf 600 in herangearbeitet und gingen gemeinsam gegen etwas halb rechts liegende Vorstellung des Gegners zum Angriff vor. Erst
jetzt wurde der Befehl zum Feuern erteilt, als aber keine Wirkung zu bemerken war, das Feuer wieder abgebrochen und ohne zu feuern weiter herangekrochen.
4 Uhr nachm, hatten sich die beiden Züge auf Sturmentfernung herangearbeitet und drängten die Engländer durch heftiges Feuer auf ihre Hauptstellung zurück.
4 Uhr 45 Minuten nachm, waren die beiden Züge, die unter heftigem Maschinengewehr- und Gewehrfeuer aus der Hauptstellung zu leiden halten und von denen in dem unübersichtlichen Gelände grössere Teile unter dem Sol nach links abgekommen waren, nicht mehr im Stande, den Sturmangriff alleine durchzuführen und gingen um 5 Uhr nachm, in südlicher Richtung unter heftigen Feuer auf den Zug Weber zurück.
Der Zug Weber war tun 2 Uhr nachm, auf einen überlegenen Feind gestossen (2 Züge) und kam nicht mehr vorwärts. Der Detachementsführer war inzwischen dem Zuge Köller gefolgt, der sich wegen einer schwer passierbaren Bodensenkung nach rechts gezogen hatte. Es war dadurch in unserer Stellung eine Lücke entstanden, durch die um 3 Uhr nachm, die Engländer einen Vorstoss unternahmen.
Der Detachementsführer sah sich, begleitet von einem Trompeter, plötzlich auf 150 m etwa 2 Gruppen feindlicher Schützen gegenüber und erhielt einen Schuss durch den linken Oberarm.
Nach dem rechten Flügel zu gelangen war jetzt unmöglich. Bei dem Rückzug fiel der Trompeter.
4 Uhr nachm, gelangte der Detachementsführer zum Eukalyptuswald und ordnete das Zurückbringen der Maschinengewehre Altermath und Baumgart an, welche durch den englischen Vorstoss im Zentrum gefährdet erschienen. Die Maschinengewehre nahmen dann im Eukalyptuswald erneut Stellung. Das Zurücknehmen der Maschinengewehre ging trotz heftigen Feuers ohne Verluste von Statten.
4 Uhr 30 Minuten nachm. Der Detachementsführer begab sich zum linken Flügel, begleitet von Oberarzt Auerbach. Das Gefecht war auch hier zum Stehen gekommen, Reserven waren
nicht mehr vorhanden. 5 Uhr 30 Minuten nachm. Der Detachementsführer beauftragte vom Eukalyptuswald aus den Feldwebel Weber mit dem Abbau des Lagers, welches um 6 Uhr nachm, erfolgt war. 6 Uhr 15 Minuten nachm. wurde der Abbruch des Gefechts befohlen. Das Detachement sollte sich auf den Höhen südwestlich Kisii sammeln. Um den Rückzug zu verdecken, wurde im Zentrum

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das Feuer der Maschinengewehre und der Askari für einen kurzen Moment beschleunigt.
6 Uhr 30 Minuten baute das Detachement, ohne vom Feind belästigt zu werden, ab. Der Sol erstieg um diese Zeit mit 2 Gruppen die feindliche Stellung, welche mit Einbruch der Dunkelheit grössten Teils geräumt war. Erst um 7 Uhr entschloss sich der Sol, auf Kisii zurückzugehen. Nachdem um 6 Uhr 30 die Trägerkolonne vom Lager aus aufgebrochen war, entstand 7 Uhr 15 unter den Trägern eine Panik, wahrscheinlich infolge eines Gewehrschusses. Etwa 150 Träger warfen die Lasten in das dichte Gestrüpp abseits des Weges und flohen.
Um 8 Uhr 30 gelangte der grösste Teil des Detachements auf die Höhen südwestlich Kisii. Vizefeldwebel Altermath wurde an die Stelle der Panik zurückgeschickt, fand aber nichts mehr vor.
Alle Lasten waren teils durch Eingeborene, teils durch Wagaia-Hilfskrieger gestohlen.
12 Uhr nachts. Das Detachement war grösstenteils versammelt.
13. September. Um 2 Uhr 30 vorm, marschierte das Detachement in südlicher Richtung ab, da es bei den schweren Verlusten nahe lag, dass die Engländer dem Detachement von der
Strasse Karungu aus den Weg abschneiden würden.
10 Uhr 30 vorm, traf das Detachement nach 8 stündigem Marsch in Uriri, Landschaft Sakwe ein, ohne mit dem Gegner ernsthafte Zusammenstösse zu haben.
Der Detachementsführer:
gez. v. Bock

Hauptmann

(Quelle: Deutsch-Ostafrika. Kaiserliches Gouvernement. n.d. [1914]. Zusammenstellung der Berichte über die in den August, September, Oktober 1914 stattgefundenen Gefechte der Kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Morogoro: Regierungsdruckerei.)

Deutsche Truppen am Viktoria-See 


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