Der Erste Weltkrieg
begann in Ostafrika nur wenige Tage nach den ersten Kampfhandlungen
in Europa. Im November 1914 konnten die Deutschen eine Invasion des
Nordens ihrer Kolonie durch britische Truppen abwehren. Erst
anderthalb Jahre später starteten Briten und Belgier eine erneute
Offensive. Vom Norden, Westen und Süden drangen 100.000
südafrikanische, rhodesische, indischen und kongolesischen Soldaten
in die deutsche Kolonie vor. Diese Geschichte handelt vom Abzug
deutscher Truppen aus Rwanda, von ihrer Flucht bis in den Süden der
deutschen Kolonie und ihre Rückkehr in den Norden. Sie legten dabei
in anderthalb Jahren mehr als 2.000 Kilometer zurück.
Max Wintgens und der König von Rwanda |
Flucht aus Rwanda
Im Mai 1916 begann der Angriff der Belgier auf den Nordwesten der deutschen Kolonie. Den
15.000 Soldaten der belgischen Force Publique standen 85 Deutsche und 2.250 Askari
und vermutlich einigen Hundert afrikanischen Krieger gegenüber. Fast
zwei Jahre hatte sich der deutsche Kommandierende in Region, Max Wintgens, gegen die Belgier am Kivu-See
behaupten können. Doch nun brach der Widerstand der Deutschen
schnell zusammen. Mit einigen Hundert Askari und deren Familien floh
Wintgens nach Süden. Im Juli entging er nur knapp der Einkesselung
durch die Belgier, den Durchbruch durch die feindlichen Linien
erkauften sich die Deutschen mit hohen Verlusten. Die Belgier
verfolgten die Deutschen bis nach Tabora. Eine weitere belgische
Kolonne hatte sich entlang der Mittellandbahn vorgekämpft. Im
September erreichten sie Ussoke, die letzte Station vor der Stadt.
Nach tagelangen Kämpfen mussten sich die Deutschen zurückziehen und
die provisorische Hauptstadt der Kolonie aufgeben. Tabora wurde zur
offenen Stadt erklärt und die Belgier marschierten am 19. September
in die Stadt ein.
Wintgens Ziel war
nun Morogoro, fast 500 km entfernt, wo sich Lettow-Vorbeck mit dem
Hauptteil der Truppen befand. Doch seine Soldaten und Offiziere waren
erschöpft und demoralisiert. Desertionen der Askari häuften sich,
viele hatten ihre Familien in Tabora zurücklassen müssen. Das war
angesichts des Rufs der belgischen Soldaten, die unter den Ostafrikanern als Kannibalen
verschrien waren, keine leichte Entscheidung gewesen. Nur mit Mühe gelang es
Wintgens, seine Truppen vor der Auflösung zu bewahren. Doch der belgische Druck hatte nachgelassen. Die belgischen
Truppen waren am Ende ihrer Kräfte. Ihr Nachschub war am Rande des
Kollaps, unter den Soldaten und Trägern grassierten Hunger und
Epidemien. Nach der Einnahme von Tabora hatten die Belgier ihre
wichtigsten Kriegsziele erreicht. Sie kontrollierten nun den
bevölkerungsreichen Nordwesten und hatten mit der Eroberung der
Hauptstadt der Kolonie Genugtuung für ihre Niederlagen in Europa
bekommen. Das belgische Oberkommando sah das Ende des Kriegs in naher
Zukunft.
Die Kämpfe am Rufiji
Aber die Belgier
hatten Wintgens Truppen nicht entscheidend schlagen können. Auch die
Briten konnten zwar in den ersten Monaten ihrer Offensive die Truppen
Lettow-Vorbecks zurückdrängen, hatten ihn aber nicht zur einer
Entscheidungsschlacht zu stellen vermocht. Am Rufiji-Fluss hatten die
Deutschen starke Stellungen ausgebaut, die sie gegen mehrere
Angriffsversuche der Briten hatten halten können. Wintgens und seine
etwa 1.000 Soldaten erreichten im Februar Mahenge und waren nur
noch wenige Tagesmärsche von Lettow-Vorbeck entfernt. In seinem Weg
standen nun südafrikanische und rhodesische Truppen, die mit aller
Macht versuchten, einen Durchbruch der Deutschen zu verhindern.
Deutsche Stellungen am Rufiji |
Als dem britischen
Oberkommando erste Berichte über den Kurswechsel der Deutschen
vorlagen, herrschte Ratlosigkeit, Spekulationen über das Ziel der
Truppen von Wintgens machten die Runde Auch Lettow-Vorbeck schien von
der Aktion seines Offiziers überrascht. Nach dem Krieg äußerte der
General zwar seine Bewunderung für Wintgens, kritisierte aber auch
die militärische Nutzlosigkeit der Aktion. Die Briten
vermuteten zuerst, dass Wintgens auf der Suche nach Lebensmitteln war. In
seinem dritten Jahr war der Krieg zunehmend zu einem Wettrennen
zwischen Deutschen und Alliierten um die letzten noch verbliebenen landwirtschaftlichen Anbauregionen in der deutschen Kolonie geworden. Über mehrere
Tausend Kilometer mussten die Briten ihre Truppen versorgen. Immer
wieder kamen ihre Offensive zum Halten oder musste ganz
abgebrochen werden, weil sie ihre Truppen keine Munition und Lebensmittel hatten. Auch für die Deutschen war der größte Feind
längst die mangelnde Versorgung ihrer Truppen mit Waffen, Munition,
Lebensmitteln und Medikamenten geworden. Ende 1916 begannen sich erste
versprengte Truppenteile, zu ergeben. Der südafrikanische
Oberkommandierende Jan Smuts hatte seine eigene Definition eines
Abnutzungskrieges gefunden. Nicht monatelange Grabenkämpfe wie in
Europa, sondern die ständige Bewegung durch ein unwirtliches Land,
zwangen die Deutschen allmählich zur Ausfgabe.
Es waren erst
Berichte von Überläufern und Gefangenen, die den Briten ersten
Anhaltspunkte für Wintgens Motive brachten. Wintgens Askari sollem ihm gedroht hätten, die Waffen niederzulegen, wenn er
ihnen nicht verspräche sie nach Hause zu bringen. Wintgens erneuter
Richtungswechsel im Mai 1917 schien die Aussagen der Deserteure zu bestätigen. Zu
diesem Zeitpunkt erreichten seine Truppen Unyamwezi, eine Region
unweit Taboras, wo viele der Soldaten ihre Heimat hatten. Die Briten
errichteten in aller Eile Verteidigungsanlagen bei Kiromo, die
Deutschen aber umgingen die Linien und besetzten eine Missionsstation
bei Kitunda. Sie waren noch 100 Kilometer von Tabora entfernt.
Zurück nach Tabora
In der Stadt machte
sich Panik breit. Die Bewohner hatten sich mit der neuen Macht
arrangiert, auch wenn es immer wieder zu Übergriffen auf die
Bevölkerung durch die belgischen Truppen kam. Der Ruf der
Deutschen war kaum besser. Sie behandelten jeden Afrikaner, der mit
den Briten oder Belgiern kooperierte als Verräter. Bei ihrem Zug
durch Unyamwezi, Ugogo und Nguru hinterließen die Deutschen eine
Schneise der Verwüstung. Missionsstationen wurden geplündert und in
Schutt und Asche gelegt. Ganze Dörfer wurden zum Tragen von Lasten
gezwungen, wer sich weigerte gefoltert und ermordet. Frauen, darunter
auch Minderjährige, wurden entführt und zur Prostitution unter den
Soldaten und Offizieren gezwungen.
Den Belgiern gelang
es, die Deutschen nach Nordosten abzudrängen. Mittlerweile
beteiligten sich auch ein nigerianisches Regiment und ein Bataillon
der britischen King's African Rifles an der Verfolgung. Einen kleinen Erfolg
konnten die Alliierten mit der Gefangennahme von Wintgens am 27. Mai
erringen. Schwer krank ergab er sich einer belgischen Patrouille. Das
Kommando übernahm nun der Leutnant Heinrich Naumann. Er hatte noch
etwa 800 Soldaten und 14 Maschinengewehre. Bei Malongwe, 90 Kilometer
östlich von Tabora, überquerte er die Mittellandbahn. Der
Viktoria-See schien sein neues Ziel. Wollte Naumann von dort nach
Nairobi oder nach Rwanda, um sich mit dem rwandischen König Musinga zu verbünden? Von da an hatten die
Belgier und Briten nur noch spärliche Informationen über den
Verbleib Naumanns, dessen Truppen sich nun teilten, um sich dann
Tagesmärsche später wieder zu vereinigen. Aber Naumann sah sich
auch mit dem zunehmenden Verfall seiner Truppen konfrontiert.
Deserteure suchten ihren Weg nach Hause oder ergaben sich den
Verfolgern. Doch auch kongolesische Deserteure und afrikanische
Krieger schlossen sich Neumann an, aus welchen Gründen auch immer.
Manche hofften auf Beute, manchen sahen bessere Chance für ein
Überleben.
Zum Vikoria-See
Naumann wich einer
offenen Schlacht mit den Verfolgern aus. Doch Anfang Juni gelang es
einer alliierten Kolonne, Naumanns Truppen bei Mkalama zu stellen.
Doch die belgischen und nigerianischen Truppen waren nicht stark
genug, die Deutschen aufzuhalten. Ziel Naumanns war
die Boma (Fort) von Mkalama, wo er Nahrung und Munition zu finden hoffte.
Die Besatzung der Boma bestand in der Mehrzahl aus ehemaligen Askari.
Naumann drohte mit der Hinrichtung der Askari, wenn sie sich nicht
ergeben würden. Drei Tage belagerten die Deutschen das Fort, ohne
jedoch die Eingeschlossenen zur Aufgabe zu bringen. Die ehemaligen
Askari hatten guten Grund, um ihr Leben zu kämpfen: Besonders
Naumanns Truppen zeigten gegenüber ehemaligen Kameraden, die die
Seite gewechselt hatten, selten Gnade. Am dritten Tag der Belagerung
zogen die Deutschen unverrichteter Dinge ab, als sich alliierte
Entsatztruppen näherten. Erst knapp einen Monat später kam es zu
einem weiteren Gefecht. Britische Aufklärungseinheiten hatten von
der lokalen Bevölkerung Informationen über eine starke deutsche
Truppenansammlung im Fort von Ikoma erhalten. Belgische Truppen
eilten daraufhin in Gewaltmärschen nach Ikoma, Ihr Angriff auf die
Deutschen endete in einem Fiasko. Das Fort war von einem gerodeten
Stück Land umgeben, die Deutschen hatten freies Schussfeld auf die
Angreifer. Zu einer Katastrophe für die Belgier wurde Ikoma
endgültig, als deutsche Einheiten, die in der Nähe gelagert hatten,
überraschend in den Kampf eingriffen und den Belagerern in den
Rücken fielen. Die belgischen Kompanien wurden fast vollständig
aufgerieben, ebenso wie die britischen Scouts, deren mangelnde
Aufklärung zur Katastrophe beigetragen hatte. Ikoma ging als die
schwerste Niederlage der Belgier in die Geschichte des
ostafrikanischen Feldzuges ein. Sie verloren innerhalb weniger
Stunden einen Offizier und 84 Bulamatari, 41 Bulamatari wurden
verwundet.
Wintgens und Naumanns Route (nach Paice) |
Im September 1917
mehrten sich die Zeichen für eine beginnende Auflösung der Truppen
Naumanns. Einzelne Offiziere begannen zusammen mit ihren Askari die
Waffen niederzulegen. Ende September hatten die Briten Naumanns
verbliebene Truppen am Luitaberg endgültig gestellt und
eingekesselt. Nach mehreren Tagen Belagerung gab Naumann am 1.
Oktober schließlich auf. Mit ihm kapitulierten 15 Europäer, 156
Askari und 400 Träger. Ein Odyssee von mehr als 2.000 Kilometern
durch Afrika war zu Ende. War Wintgens noch mit allen Ehren behandelt
worden, so wurden Naumann eine Reihe von Kriegsverbrechen zur Last
gelegt, für die er vor einem Kriegsgericht zur Verantwortung gezogen
werden sollte. Zu einer Verurteilung kam es allerdings nie.
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