Mythen des Krieges: Ein Guerillakrieg?

Es ist wahrscheinlich einer der populärsten und bis heute hartnäckigsten Mythen über den Krieg: Der deutsche Oberkommandierende Paul von Lettow-Vorbeck führte einen Guerillakrieg gegen die Briten.

Erst vor kurzen schrieb Sean O'Grady in der Reihe „A History of the First World Warin 100 Moments“ auf der Webseite des britischen Independent über Lettow-Vorbeck:
„It was he who led a remarkable guerrilla war against British, South African, Nigerian, Gambian, Kenyan, Portuguese and Belgian forces in the region, managing to score a series of remarkable successes – and remaining at large when the Armistice arrived in 1918.“

Deutsche Stellungen am Kilimandscharo

Der Krieg in Ostafrika war eine eigentümliche Mischung aus ganz unterschiedlichen Arten der Kriegsführung. Kolonialtruppen und afrikanische Irreguläre kämpften gegen Truppen aus der Metropole. Patrouillengefechte und eine hoch mobile Kriegsführung wechselten sich mit Grabenkämpfen und Artillerieduellen ab. Moderne Technik wie Panzerwagen und Lastkraftfahrzeugen wurden in Bedingungen eingesetzt, für die sie nicht gebaut worden waren. Die Versorgung der Truppen scheiterte oft am Fehlen einer modernen Infrastruktur und Bürokratie. Am Ende waren es Afrikaner, die die neueste Kriegstechnik mit ihrer Muskelraft durch die unwirtlichen Gegenden Ostafrikas schleppen mussten. Das 19. Jahrhundert trug das 20. Jahrhundert auf seinem Rücken.
Der Krieg begann 1914 recht konventionell. Die Deutschen errichteten befestigte Stellungen im Nordosten der Kolonie, wo Lettow-Vorbeck die Offensive der Briten erwartete. Im November landeten britische Truppe bei Tanga und gingen am Longido-Pass zum Angriff über. In beiden Gefechten blieben die Deutschen siegreich. Anfang 1915 drangen deutsche Truppen auf britisches Territorium vor und eroberten für einige Stunden den Ort Jassini. Die folgenden Monate waren von gelegentlichen Grenzscharmützeln geprägt. Im Nordwesten griffen Truppen unter dem Kommando von Max Wintgens belgische Stellungen an. Am Südende des Tanganyika-Sees scheiterte der Versuch des Generals Wahle die rhodesische Stadt Abercorn einzunehmen. Mitte 1915 hatten die Kriegsparteien ein strategisches Patt erreicht. Die Briten waren angesichts ihrer Niederlagen nicht bereit, weitere Risiken einzugehen. Lettow-Vorbeck war zu schwach, um eine größere Offensive gegen die Alliierten zu starten. Er beschränkte sich auf gelegentliche Angriffe auf die Uganda-Bahn durch kleinere Patrouillien. Diese gelegentlichen Vorstöße der Deutschen waren kaum als Guerillakrieg zu bezeichnen.

Britische Panzerwagen

Mit Beginn der alliierten Offensive im März 1916 waren die Deutschen mit einem zahlenmäßig und waffentechnisch überlegenen Gegner konfrontiert. Die Strategie des südafrikanischen Generals Jan Smuts war es, die deutschen Stellungen durch schnelle Flankenvorstöße zu umgehen und die Truppen Lettow-Vorbecks einzukreisen. Smuts hatte diese Strategie mit großem Erfolg gegen die Deutschen in Südwestafrika 1915 angewandt. Lettow-Vorbecks Strategie war vor allem eine Reaktion auf die britische Kriegsführung. Er entzog sich der Einkesselung, in dem er seine Truppen immer wieder aufteilte. In den folgenden Monaten errichteten die Deutschen wiederholt befestigte Stellungen, die sie gegen die Angriffe der Briten so lange wie möglich hielten.

Deutsche Truppen auf dem Marsch

Spätestens Ende 1916 wurde die Versorgung der deutschen Truppen mit Lebensmitteln ein großes Problem. Die von den Deutschen angelegten Depots waren von den Alliierten erobert und die Bevölkerung versteckte bei Ankunft der Deutschen was ihnen noch geblieben war. Der vermeintliche Guerillakrieg erwies sich als eine verzweifelte Suche nach Nahrung: Kleine Patrouillen durchkämmten auf der Suche nach Nahrungsmitteln afrikanische Dörfer.

Dennoch war es auch 1917 das Bestreben des deutschen Kommandeurs seine Truppen zusammenzuhalten. Ende des Jahres begannen sich versprengte Einheiten den Alliierten zu ergeben, weil es ihnen an Munition, Nahrungsmitteln und manchmal auch am Willen fehlte, den Krieg ihres Kommandeurs fortzuführen. Lettow-Vorbeck fürchtete die Kriegsmüdigkeit seiner Offiziere. Seine Offiziere begannen immer offener für eine Kapitulation zu votieren. Ende 1916 begannen erste versprengte Truppen ihre Waffen niederzulegen. Im November ergab sich Hauptmann Tafel, einer seiner besten Offiziere, mit 148 Deutschen und 1.398 Askari den Briten. Wintgens war im Februar aus unbekannten Gründen mit seinen tausend Soldaten nach Norden marschiert.

Lettow-Vorbeck brauchte dringend einen Erfolg. Er sammelte seine Truppen und stellte sich ein letztes Mal den Briten in einem offenen Kampf. Im Oktober 1917 kam es bei Mahiwa zum größten Gefecht des gesamten Krieges. Artillerieduellen folgten Grabenkämpfe, die Briten unter General Beeves versuchten durch Frontalangriffe die deutschen Stellungen zu durchbrechen. Die Taktik Lettow-Vorbecks und seiner britischen Gegenüber war durchaus mit dem europäischen Kriegsschauplatz vergleichbar.

Deutsche Truppen überqueren die portugiesische Grenze

Erst danach, als er nach Portugiesisch-Ostafrika floh, sprach er von einem Guerillakrieg. Die Alliierten, die bis dahin kein Mittel gefunden hatten, die Deutschen entscheidend zu schlagen, benutzten diesen Begriff weitaus früher. Er war vor allem ein Ausdruck ihrer Ohnmacht und ihres Scheiterns. Die Briten, die in den ersten drei Jahren des Krieges zumeist auf südafrikanische, indische und europäische Truppen setzten, führten den Krieg konventioneller, europäischer als die Deutschen und Belgier. Ihre Überlegenheit an Soldaten und Waffen band sie die wenigen befahrbaren Straßen. Doch die Deutschen taten ihnen nicht den Gefallen, sich dort dem Kampf zu stellen.


So ist nicht die Frage, ob Lettow-Vorbeck einen Guerillakrieg führte oder nicht, die interessantere, sondern warum der Begriff so populär wurde, um den Krieg zu beschreiben. Der Begriff verbarg mehr als er eine Besonderheit offenbarte. Bis heute: Denn immer noch wird über den Krieg geschrieben, ohne die deutsche Kolonialherrschaft ins Zentrum zu rücken. Der Krieg glich mehr als allem anderen den Kolonialkriegen des 19. Jahrhunderts, vor allem aus der Sicht der Deutschen und Belgier. Ihre Soldaten und Offiziere waren in diesen Krieg erprobt, ihre Taktik darauf ausgerichtet. Diese Kolonialkriege waren eine Mischung aus Raubzug und Kommandounternehmen. Ihr Ziel war nicht die Eroberung und dauerhafte Besetzung eines Territoriums, sondern die schnelle Überwältigung des Gegners. Mit dem Tod oder der Unterwerfung des afrikanischen Herrschers, die diesem kolonialen Blitzkrieg folgte, waren die Ziele erreicht und die Truppen zogen sich zurück. Für längere Gefechte fehlte den Kolonialtruppen die Infrastruktur, um sie mit Munition und Nahrung zu versorgen. Das war genau das, was auch Lettow-Vorbeck in den letzten zwei Jahren praktizierte. Nur waren die Gegner nicht Afrikaner, sondern britische und portugiesische Depots.  

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