Die 10 außergewöhnlichsten Ereignisse des Krieges in Ostafrika

Eine Mitarbeiterin der BBC fragte mich vor kurzen, welche die erstaunlichsten oder interessantesten Ereignisse während des Ersten Weltkriegs in Ostafrika waren. Nicht die große Schlachten und kriegsentscheidenden Ereignisse, sondern solche, die ein Schlaglicht auf den besonderen Charakter dieses Krieges werfen. Meine Antwort war diese Top 10 der außergewöhnlichsten Ereignisse des Krieges.

1. Der Zug Wintgens und Naumanns durch das von den Alliierten besetzte Territorium, 1916/17

Die deutschen Truppen unter Wintgens und später Naumann legten mehr 2000 Kilometer durch von Briten und Belgiern besetztes Territorium zurück. Dieser Zug war zwar militärisch nicht sehr bedeutsam, hatte aber für das Verhältnis zwischen Belgiern und Briten durchaus Konsequenzen. Es war darüber hinaus wohl einer rücksichtslosesten Kampagnen des Ersten Weltkrieges in Ostafrika. Es kam zu einer Vielzahl von Kriegsverbrechen durch deutsche und alliierte Truppen.


Proklamation des Jihad durch Heinrich Schnee (Quelle Schnee, n.d.)

2. Die Proklamation des Jihad in der Kolonien durch Heinrich Schnee

Wann hat jemals ein deutscher Beamter Muslime zum Heiligen Krieg gegen die Briten aufgerufen, wann sind deutsche Truppen jemals unter dem Banner des Propheten marschiert?


Hissung der belgischen Fahne in Tabora (Quelle: Stienon 1917)

3. Die Eroberung Taboras durch belgische Truppen 1916

Es war bis dahin der größte Triumph der Belgier in diesem Krieg. Tabora war zu diesem Zeitpunkt immerhin die provisorische Hauptstadt der Kolonie. Tabora war zwar nicht Berlin, für ein bisschen Genugtuung aber reichte es allemal. In Europa hatten sie bis dahin  nur Niederlagen einstecken müssen. Für die Deutschen war der Fall von Tabora eine herbe Niederlage und für die Askari eine Katastrophe, da viele ihre Familien in der Stadt zurückgelassen hatten. Erstmals kam es zu massenhaften Desertionen der Askari. Tabora ist zudem einer der am besten dokumentierten Fälle für Kriegsverbrechen im Krieg.

Britische Kriegsgefangene (Quelle: Wenig 1931)

4. Die deutschen und britischen Kriegsgefangenenlager für Europäer

Die britische Regierung veröffentlichte nach dem Krieg einen umfassenden Bericht über die Kriegsgefangenenlager der Deutschen in der Kolonie. Der größte Vorwurf an die Adresse der Deutschen war nicht die Misshandlung der internierten Missionare, Siedler, Kaufleute und Soldaten, sondern Verbrechen gegen die koloniale Ordnung. Die britischen Gefangenen hatten unter Aufsicht afrikanischer Soldaten körperlich schwere Arbeiten verrichten müssen. Die Briten und Belgier zahlten es den Deutschen aber mit gleicher Münze heim. Auch in ihren Lagern wurden deutsche Gefangene nicht den kolonialen Gepflogenheiten entsprechend behandelt. Beide Seiten nutzten Gefangene in einer Art Propagandashow, um die afrikanische Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.

5. Der Putsch Lettow-Vorbecks gegen Heinrich Schnee

Vor dem Krieg war Gouverneur Heinrich Schnee formell der Oberkommandierende der Schutztruppe. Ein für das Kaiserreich einmalige Konstellation, dass ein Zivilist Befehlsgewalt über deutsche Militärs hatte. Heinrich Schnee war gegen den Krieg in den Kolonien. Er wollte jegliche Provokation seiner Truppen gegenüber den Belgiern und Briten vermeiden. Lettow-Vorbeck weigerte sich in den ersten Wochen, den Befehlen Schnee Folge zu leisten. Nach der Schlacht von Tanga übernahm er offiziell das Kommando über die Truppen und entmachtete Schnee.

6. Der Krieg der Deutschen gegen die Hehe und Makonde im Süden, 1917

Der Rückzug der Deutschen aus der Kolonie und ihre Flucht nach Portugiesisch-Ostafrika waren nicht zuletzt das Resultat eines erbitterten Widerstandes der lokalen Bevölkerung im Süden der Kolonie. Die hatten die äußerst brutalen Feldzüge der Deutschen während der kolonialen Eroberung und während des Maji-Maji nicht vergessen. Die Deutschen kämpften hier gegen die Folgen ihrer kolonialen Vergangenheit.

HMS Mimi und Toutou am Tanganyika-See (Quelle: Sibley 1971)

7. Die Geschichte der HMS Mimi und Toutou

Schon allein weil die Ereignisse um die beiden Kanonenboote die Vorlage für den Film The African Queen gewesen sind, gehören sie in diese Rubrik. Der Transport der Schiffe und ihr Kampf gegen die deutschen Schiffe auf dem Tanganyika, obwohl wenig militärisch bedeutsam, ist wohl die prominenteste Story über den Krieg, zumindest im anglofonen Raum.

8. Der Chilembwe-Aufstand, 1914 (und seine Folgen)

Er war der größte Aufstand während des Krieges in Ostafrika. Anlass waren Zwangsabgaben und Zwangsrekrutierungen der Briten im britischen Nyassaland, dem heutigen Malawi. Viele der Anführer kamen aus dem Umkreis der Watchtower-Kirche. Obwohl der Aufstand innerhalb weniger Wochen von den Briten niedergeschlagen wurden, verbreiteten sich die Anhänger und Ideen John Chilembwes in den folgenden Monaten und Jahren bis nach Rhodesien. Der Aufstand gilt heute als der Beginn des afrikanischen Nationalismus in der Region.

9. Die Eroberung Chahafis durch deutsche Truppen und rwandische Krieger, Januar 1915

Im Januar 1915 griffen deutsche Truppen gemeinsam mit rwandischen Kriegern und Anhänger des Nyabingi-Kults den britischen Posten Chahafi in Kigezi (im heutigen Uganda). Was das Ziel der deutschen Truppen in Rwanda war, ist nicht ganz klar. Die rwandischen Krieger des Königs Musinga wollten die Kontrolle über Gebiete wiedererlangen, die durch die koloniale Grenzziehungen dem König entglitten waren. Die Nyabingi-Leute waren erbitterte Gegner der europäischen Kolonialherrschaft. Noch wenige Monate vor dem Krieg hatten die Deutschen die Nyabingi-Anhänger bekämpft. Nun machten sie gemeinsame Sache mit ihnen. Chahafi ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Krieg die politische Ordnung in Afrika veränderte und wie er er sich mit lokalen Konflikten überlagerte.

10. Die Beni-Ngoma, Sufi-Orden, afrikanische Kirchen und Millenarismus nach dem Krieg


Wir wissen recht wenig darüber, wie die Afrikaner diesen Krieg sahen. Lieder und Tänze, die die Afrikaner während und nach dem Krieg sangen und tanzten, sind eine wichtige Quelle für diese afrikanischen Perspektiven. Sie etablierten eine Kultur der Erinnerung, die bis weit in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts existierte. Wenn es einen Gewinner des Krieges gab, dann war es der Islam. Verantwortlich für die Konvertierung vieler Afrikaner zum Islam waren vor allem Sufi-Orden. Sie deuteten den Krieg als eine Apokalypse, die das Ende der europäischen Herrschaft ankündigten. Ganz ähnlich sahen das viele millenaristische Kulte, die in Ostafrika in diesem Jahren starken Zulauf hatten. Sie vermischten oft christliche und islamische Elemente mit lokalen Vorstellungen. Die großen Verlierer waren in dieser Hinsicht die europäischen Missionare. Sie hatten große Probleme, ihre Anhänger zusammenzuhalten. Immer mehr afrikanische Christen wandten sich Kirchen zu, die nicht unter der Kontrolle der Afrikaner standen.  

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