Mythen des Krieges: Lettow-Vorbeck, Teil 2.

Lettow-Vorbecks Offiziere beschrieben ihren Kommandeur als einen harten aber unprätentiösen Mann. Auf Äußerlichkeiten habe er wenig Wert gelegt, seine verschlissene Uniform und seine Stiefel aus Eigenproduktion hätten ihn kaum als General ausgewiesen. Diese für einen preußischen Offizier unübliche Nonchalance erwies sich in mehr als einem Falle als Glück für den deutschen Oberkommandierenden. Britische Scharfschützen machten regelrechte Jagd auf deutsche Offiziere und Lettow-Vorbecks Kopf war wohl die begehrteste Trophäe.

Dafür aber forderte er unbedingte Ergebenheit und Leistungsbereitschaft von seinen Offizieren und Soldaten. Der aus einem alten preußischen Offiziersgeschlecht stammenden Lettow-Vorbeck war dabei mehr Militarist als Rassist. Seine afrikanischen Soldaten behandelte er mit dem gleichen Respekt wie seine deutschen Offiziere. Als die Soldaten des versenkten Kreuzers Königsberg in die Kompanien der Schutztruppe eingegliedert wurden, befahl er ihnen die gleichen Uniformen und Ausrüstung zu geben wie den Askaris. Gouverneur Heinrrich Schnee protestierte gegen diese Gleichbehandlung mit scharfen Worten. Für ihn stellte sie eine Gefahr für die koloniale Ordnung dar. Lettow-Vorbeck aber wischte diese Bedenken beiseite. Der Askari Thomas Plantan, Stiefsohn des legendären afrikanischen Offiziers Effendi Plantan, erinnerte sich nach dem Krieg: „Wir hatten großen Respekt vor den Deutschen, weil sie auch Respekt vor uns hatten. Sie behandelten uns wie Brüder, nicht wie Untergebene. Die Disziplin war hart, aber wir hatten Respekt. Sie waren sehr gute Soldaten.“ Auch dessen Bruder Kleist Plantan, der als Adjutant bei Lettow-Vorbeck diente, fiel in diese Lobeshymne ein.

Der Mythos Lettow-Vorbeck war nicht nur eine deutsche oder britische Erfindung. Auch die Askari webten an diesem Mythos mit. Das sollte sich in der Geschichte dieses Mythos als ein störendes Moment herausstellen. Im Chaos der Nachkriegsjahre und den Wirren der Weimarer Republik war der Heldenmythos des Lettow-Vorbeck eines der wenigen Narrative, die ein positives Licht auf das deutsche Militär und seine Rolle im Ersten Weltkrieg gaben. Lettow-Vorbeck selbst sah die zwanziger Jahre als eine Zeit der Katastrophe für Deutschland an. Diese Sicht teilten auch die Nationalsozialisten unter Hitler. Lettow-Vorbeck teilte mit Hitler den Widerwillen gegenüber der Demokratie der Weimarer Republik und die Verklärung der preußischen Militärtraditionen. 

Schon 1919 galt er als Hoffnungsträger der Monarchisten und Rechten. Einige Kommentatoren konnten sich Lettow-Vorbeck als Führer einer Militärjunta vorstellen, die Deutschland die alte Ordnung wiederbringen sollte. Die Hamburger Warte schrieb im März 1919: „Dieser Mann ist wie kein anderer vorbestimmt, Deutschlands Diktator zu werden. Lettow-Vorbeck sei unserer Führer im Kampf gegen Russlands Horden und unser Heimat namenlose Banditen.“ Lettow-Vorbeck verhielt sich aber zunächst passiv, obgleich er den Kult um seine Person durchaus goutieren und auch in Kapital umzusetzen wusste. Er schrieb an seine Memoiren, die 1919 erschienen und schnell zum Besstseller wurden. Seine Deutung des Krieges passte sich im Laufe der Jahre an die Debatten in Deutschland an. Auf einem Vortrag 1922 schilderte er die Kämpfe in Ostafrika als einen Schicksalskampf um die "nationale Zukunft".

1924 ging er in die Parteipolitik und ließ sich vier Jahre später von der erzkonservativen DVNP als Kandidat für den ihm so verhassten Reichstag aufstellen. Trotz einer empfindlichen Wahlschlappe wurde er zum Abgeordneten des vierten Reichstages. Seiner Ablehnung der Demokratie tat das keinen Abbruch. Er unterstützte die Notstandsregierung des Kanzlers Brüning. Als die DVNP aufgrund innerparteilicher Streitigkeiten zerbrach, schloss er sich der Konservativen Volkspartei an. Als Parteipolitiker, so Eckard Michels, sei Lettow-Vorbeck sich treu geblieben. Parteidisziplin und Loyalität zu den Führern der Partei ging ihm über alles.

Lettow-Vorbeck auf einer Versammlung 1933 in Berlin

Als Hitler an die Macht kam, hatte die Popularität Lettow-Vorbecks ihren Zenit überschritten. Er war ein „unterbeschäftigter, aber tatendurstiger Rentner“. Veteranentreffen mit ehemaligen Kameraden und auch Feinden konnten seinen Tatendrang kaum genügen. 1929 war er auf Einladung von Richard Meinertzhagen nach London gereist. Meinertzhagen war während des Ersten Weltkrieges Chef der militärischen Aufklärung der Briten gewesen. Wie Lettow-Vorbeck war mit seinen Memoiren über den Krieg in Ostafrika zum Bestseller-Autoren geworden. In Meinertzhagens Wohnung kam es zu einer Neuauflage der Schlacht von Tanga, als die betagten Herren die Ereignisse mithilfe der Möbel zu rekonstruieren versuchten. Zum Galadiner kam auch Jan Smuts, der als General gegen Lettow-Vorbeck gekämpft hatte. Die beiden Generäle hielten Festreden, die live vom britischen Rundfunk übertragen wurden. Der Erste Weltkrieg war längst Vergangenheit und der zweite noch in ferner Zukunft.

Das Kaiserreich aber gehörte für Lettow-Vorbeck keineswegs der Vergangenheit an. Als er einen Kranz am Kenotaph in London niederlegte, weigerte er sich der Aufforderung der deutschen Botschaft zu folgen, die Schleife in den schwarz-rot-golden Farben der Weimarer Republik machen zu lassen. Er bevorzugte das Schwarz-Rot-Weiß des Kaiserreiches. Drei Jahre später kam Hitler an die Macht. Lettow-Vorbeck sah darin zunächst einen Schritt zur Wiederrichtung von Monarchie und preußischer Ordnung. Die Nationalsozialisten köderten ihn mit einer Position in der Bremer Lokalpolitik, die er dankend annahm auch wenn sie ihm kaum politischen Einfluss gab. Doch seine anfängliche Euphorie für den Weltkriegsgefreiten wich schnell der Ernüchterung. Nachdem er bei Hindenburg und Hitler gegen die Überfälle der SA auf Anhänger des Stahlhelm-Bundes, in dem Lettow-Vorbeck in den Zwanzigern eine wichtige Rolle gespielt hatten, protestierte, wurde sein Büro von den Braunhemden verwüstet. Ironischerweise waren die Uniformhemden der SA seit 1924 intern als „Lettow-Hemden“ bekannt.

Hitler empfing ihn 1934. Es war das erste und einzige Mal, dass die beiden zusammentrafen. Von seinem Neffen wurde später das Gerücht verbreitet, Lettow-Vorbeck habe Hitler ins Gesicht gesagt, er solle sich zum Teufel scheren. Andere Versionen dieser Begegnung sprechen von einer Ohrfeige. Nichts von dem ist wohl wirklich geschehen. Lettow-Vorbeck war allerdings von dem Zusammentreffen enttäuscht. Hitler hatte kein Ohr für die Beschwerden des greisen Monarchisten. Im gleichen Jahr verboten die Nationalsozialisten alle monarchistischen Organisationen.

Immerhin profitierte Lettow-Vorbeck für eine kurze Zeit von der neu auflebenden Kolonialpropaganda in den unmittelbaren Vorkriegsjahren. Seine Vorträge und Zuhörer wurden zahlreicher. Lettow-Vorbeck entwarf großartige Pläne deutscher Siedlungskolonien in Afrika. Hitlers Ziele aber lagen im Osten. Goebbels missfielen die Auftritte des Kolonialhelden „Lettow-Vorbeck hat sich bei seinem Vortrag in Mecklenburg sehr mausig gemacht. Auch so ein Reaktionär!“ , schrieb er im Januar 1938 in sein Tagebuch. Wenige Tage später hieß es: „Lettow-Vorbeck stänkert gegen Partei und Staat. Ich lasse ihm das öffentliche Reden verbieten.“ Die Beziehungen zu den Nationlsozialisten kühlten merklich ab. Nicht nur seine Kolonialpläne fanden den Unmut Hitlers, sondern auch sein Lob für die afrikanischen Soldaten. Wenn Deutschland in Zukunft eine Kolonialarmee haben würde, dann sollte sie aus Weißen bestehen. 

Lettow-Vorbeck bei einem Miliärmanöver mit General Kluge, 1935


Trotz aller Differenzen kam es nie zum offenen Bruch. Lettow-Vorbeck durfte weiter öffentlich auftreten und wurde bei Kriegsbeginn zum General der Infanterie (zur Verwendung) befördert. Zu seinem Leidwesen wurde ihm die aktive Teilnahme an diesem Feldzug verwehrt. In Afrika machte unterdessen ein anderer General, Erwin Rommel, von sich reden. Wie Lettow-Vorbeck sollte auch Rommel zum tadellose Helden von Afrika werden. Die Parallelen sind erstaunlich: ein ähnliches exotisches Setting, eine ähnliche Verklärung zum makellosen professionellen Offizier und selbst der Widerstand gegen Hitler sollten den Mythos Rommel begründen.

(dieser Artikel basiert in weiten Teilen auf Eckard Michels großartigem Buch über Lettow-Vorbeck. Alle Zitate stammen aus diesem Buch, das ich nur wärmstens empfehlen kann. Meine Rezension zu diesem Buch finden sie hier)

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