Der Bericht
beschreibt den Vorstoß deutscher Truppen auf die kenyanische Stadt
Kisii, 70 Kilometer von der Grenze entfernt. Die kurzzeitige Einnahme
der Stadt war eine der spektakulärsten Offensivaktionen der
Deutschen im ersten Jahr des Krieges, wenn nicht während des ganzen
Krieges. Die Besetzung der Stadt dauert allerdings kaum einen Tag und
die Deutschen mussten ihren Vorstoß mit großen Verlusten bezahlen,
obwohl sie zahlenmäßig überlegen waren. Die deutschen Truppen
wurden von zwei der besten Offiziere Lettow-Vorbecks , Hauptmann von
Bock und Oberleutnant von Haxthausen, befehligt.
Der Bericht ist auch
wegen der Einblicke in die Taktik und Truppenzusammenstellung der
Deutschen interessant. Im September hielten die Deutschen noch an
einer Trennung von deutschen und afrikanischen Truppen fest. Der
Bericht bezeichnet die Abteilung der deutschen Kriegsfreiwilligen als
„Europäerzug“: In einem Krieg, der unter dem Banner der Nationen
gefochten wurde, eine zumindest sprachlich interessante Abweichung,
die auf die Bedeutung kolonialer Muster auch 1914 hinweist.
An den Kämpfen nahm
auch eine Ruga-Ruga-Kompagnie teil. Anders als in den Kämpfen am
Nyassa-See waren die Ruga-Ruga hier stark in die regulären Truppen
integriert. Sie wurden von deutschen Offizieren befehligt, 20 Askari
füllte ihre Reihen auf. Darüber hinaus verfügten sie über zwei
Maschinengewehre, ein untrügliches Zeichen für die hohe Bedeutung,
die ihnen die Deutschen zumaßen. Die Ruga-Ruga-Kompagnie dürfte
sich daher kaum von den regulären Einheiten der Schutztruppe
unterschieden haben. Vermutlich fungierte sie in etwa wie eine
Kadetteneinheit, die größtenteils aus neuen Rekruten bestand.
Diese Rekruten waren oft ehemals Krieger an den Höfen afrikanischer
Chiefs, die die Deutschen vor dem Krieg militärisch ausgebildet
hatten. (Mehr über Ruga-Ruga hier)
Die
Ruga-Ruga-Kompagnie war zunächst nur für die Bewachung der Lasten
vorgesehen, griff aber im Laufe des Tages in die Kämpfe ein, wo sie
zusammen mit dem „Europäerzug“ einen Angriff auf britische
Stellungen durchführte.
Bemerkenswert ist
auch die Rolle des afrikanischen Unteroffiziers, des Sols. Er spielte
bei den Angriffen auf die Briten eine herausragende Rolle. Der
Bericht deutet daraufhin, dass er während der Kämpfe ein hohes Maß
an Initiative und Entscheidungsfreiheit hatte, da die Kommunikation
mit dem Kommandeur nicht immer gegeben war.
Der Bericht beklagt
die starke Rauchentwicklung der M71 Gewehre, mit denen die Truppen zu
Beginn des Krieges größtenteils noch ausgerüstet waren. Der
Verlauf der Kämpfe zeigt in der Tat, dass die Klagen der Offiziere
berechtigt waren, gaben sie den Briten doch einen wichtigen Vorteil.
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Bericht über das am 12. 9. 14 stattgehabte Gefecht bei Kisii.
Führer: Hauptmann v. Bock.Gegner: Etwa 100 Engländer, 1 Kompagnie Inder und mindestens 1 Kompagnie englischer Askari, alle mit modernen Gewehren bewaffnet und 2 Maschinengewehre.
Truppeneinteilung. 1. ) Europäerzug Führer Oberleutnant Bucher. 34 Gewehre. 2. ) 7. Kompagnie. Führer Hauptmann v. Bock. 10 Europäer. 246 Askari einschliesslich Chargen. 3. ) Ruga-Rugakompagnie. Führer Oberleutnant v. Haxthausen. 8 Europäer. 20 Kompagnieaskari. 101 Ruga-Ruga. Gesamtstärke 419 Köpfe. Der 7. Kompagnie zugeteilt: 2 Maschinengewehre, 1—3,7 S. K. Der Ruga-Rugakompagnie 1 Maschinengewehr. Ausserdem 27 Kompagnieträger.
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Das Detachement traf
am 11. September 7 Uhr vormittags nach siebenstündigem Nachtmarsch
vor Kisii ein und besetzte es, ohne Widerstand zu finden. Die
Patrouille Leutnant Bender traf um 11 Uhr vormittags von Karungu ein,
welches am 9. September ohne Widerstand besetzt wurde. Am 9.
September 12 Uhr mittags war von der Patrouille der englische Dampfer
„Sybill“ oder „Winifred“ au[ 800 m mit dem Maschinengewehr
mit gutem Erfolg beschossen worden. Der Dampfer fuhr in nördlicher
Richtung davon ohne das Feuer zu erwidern.
12. September. Um 10
Uhr 50 vormittags brachten Eingeborene die Nachricht, die Engländer
seien im Anmarsch. Es wurde auf der Strasse Kaden Richtung Kisumu
eine Radfahrerpatrouille entsandt; gleichzeitig erhielt Leutnant
Bender mit einem Maschinengewehr und dem ersten Zug 7. Kompagnie den
Befehl, in nördlicher Richtung vorzugehen.
11 Uhr 25 vorm.
erhielt die Abteilung Bender Maschinengewehrfeuer von den Höhen
nördlich Kisii auf 1800 m. Das Feuer wurde sofort mit dem
Maschinengewehr erwidert, während der Zug sich rechts davon zum
Angriff entwickelte. Die Askaris befanden sich in brusthohem,
verwachsenem Gestrüpp, das ein ordnungsmässiges Vorgehen sehr
erschwerte. Sobald sich der Zug entwickelt hatte, bekam er auch
Gewehrfeuer, anscheinend aus derselben Entfernung. Das Feuer konnte
wegen der grossen Entfernung um so weniger erwidert werden, als die
feindliche Stellung in dem dichten Gestrüpp sich durch nichts
verriet. Der Zug arbeitete sich an die feindliche Stellung heran,
immer ohne zu feuern, unter vorläufig nicht schweren Verlusten.
11 Uhr 45 vorm, als
der Zug noch etwa 1000 m von der feindlichen Stellung entfernt war,
griff das Detachement ein.
Auf das
Maschinengewehrfeuer hin rückte das Detachement durch einen
Eukalyptuswald gedeckt vor. Der dritte Zug der Ruga-Ruga-Kompagnie
und die Kompagnieträger blieben vor dem Lager zur Verfügung des
Detachementsführers in Reserve und übernahmen gleichzeitig den
unmittelbaren Schutz der Lasten. Unterwegs passierte das Detachement
einen freien Platz im Maschinengewehrfeuer im Marsch-Marsch. Verluste
entstanden hierbei nicht. Der Detachementsführer befahl den Angriff
und liess die Ruga-Ruga-Kompagnie links vom Zuge Bender vorgehen.
Der Europäerzug
wurde links von der Ruga-Ruga-Kompagnie, welcher ein Maschinengewehr
zugeteilt war, eingesetzt, um ein Umfassen des linken Flügels,
welches der Gegner augenscheinlich
plante, zu
verhindern.
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Rechte vom Zuge
Bender wurde der Zug Kolter (3. Zug 7. Kompagnie) eingesetzt. Der Zug
Weber (2. Zug 7. Kompagnie) erhielt den Auftrag rechts umfassend
anzugreifen. Das dritte Maschinengewehr unter Sanitäts-Vizefeldwebel
Altermath und die 3,7 cm S. K. unter Oberleutnant Micknat wurden etwa
200 m rechts vorwärts des Eukalyptuswaldes auf einer Hügelwelle
aufgestellt, mit dem Auftrag, den Angriff des Detachements zu
unterstützen.
Der
Detachementsführer begab sich in Begleitung des Oberleutnants Schulz
und des Stabsarztes Dr. Koch zunächst zur Maschinengewehr- und
Geschützstellung und folgte dann dem Zug Köller, um das Vorgehen
des rechten Flügels zu beobachten.
Von hier aus befahl
der Detachementsführer der 3,7 S. K., welche etwa 1600 m von der
feindlichen Stellung entfernt war, weiter vorzugehen, da die
Entfernung viel zu gross war, um
Wirkung zu erzielen.
Sofort nach dem Stellungswechsel fiel Oberleutnant Micknat, nachdem
das Geschütz nur wenig Schüsse abgefeuert hatte. Die
ausserordentlich starke Rauchentwicklung
zog sofort die
Aufmerksamkeit des Feindes auf sich, der das Geschütz mit
Salvenfeuer überschüttete. Ganz besonders ungünstig war die dicke,
feuchte Luft, welche den Rauch auch bei den Askarigewehren etwa 5 bis
10 Sekunden lang festhielt, so dass das Zielen für den Gegner sehr
erleichtert wurde.
Die
Ruga-Ruga-Kompagnie besetzte den Nordrand des Eukalyptuswäldchens
mit dem Maschinengewehr, Zug Bullinger links davon, zurückgebogen
Zug Thiem und die Europäer.
12 Uhr 5 Minuten
nachm. Der in Reserve gehaltene dritte Zug der Ruga-Ruga-Kompagnie
wurde von Oberleutnant v. Haxthausen, der einen starken angreifenden
Gegner die linke Flanke
umfassen sah,
herangeholt und zur Verlängerung links eingesetzt.
12 Uhr 10 Minuten
nachm. Das Maschinengewehr der Ruga-Ruga-Kompagnie wurde, nachdem es
½ Gurt verfeuert hatte, zerschossen und war unbrauchbar. Der
Gewehrführer wurde verwundet.
12 Uhr 30 Minuten
nachm. Der englische Angriff kam 50 Schritt vor der Feuerlinie zum
Stehen. Oberleutnant v. Haxthausen machte mit der Ruga-Ruga-Kompagnie
und dem Europäerzug, dessen Führer, Oberleutnant Bücher, bereits
um 12 Uhr 15 gefallen war, einen Gegenangriff, den die Engländer
nicht annahmen. Sie flüchteten unter starken Verlusten in den Wald
nördlich.
12 Uhr 35 Minuten
nachm. Infolge grosser Verlusste kam das Gefecht vorm
Eukalyptuswäldchen zum Stehen und wurde erst 6 Uhr 45 Minuten abends
hier auf Befehl des Detachementsführers abgebrochen.
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3 Uhr nachm, hatten
sich die Züge Bender und Köller auf 600 in herangearbeitet und
gingen gemeinsam gegen etwas halb rechts liegende Vorstellung des
Gegners zum Angriff vor. Erst
jetzt wurde der
Befehl zum Feuern erteilt, als aber keine Wirkung zu bemerken war,
das Feuer wieder abgebrochen und ohne zu feuern weiter
herangekrochen.
4 Uhr nachm, hatten
sich die beiden Züge auf Sturmentfernung herangearbeitet und
drängten die Engländer durch heftiges Feuer auf ihre Hauptstellung
zurück.
4 Uhr 45 Minuten
nachm, waren die beiden Züge, die unter heftigem Maschinengewehr-
und Gewehrfeuer aus der Hauptstellung zu leiden halten und von denen
in dem unübersichtlichen Gelände grössere Teile unter dem Sol nach
links abgekommen waren, nicht mehr im Stande, den Sturmangriff
alleine durchzuführen und gingen um 5 Uhr nachm, in südlicher
Richtung unter heftigen Feuer auf den Zug Weber zurück.
Der Zug Weber war
tun 2 Uhr nachm, auf einen überlegenen Feind gestossen (2 Züge) und
kam nicht mehr vorwärts. Der Detachementsführer war inzwischen dem
Zuge Köller gefolgt, der sich wegen einer schwer passierbaren
Bodensenkung nach rechts gezogen hatte. Es war dadurch in unserer
Stellung eine Lücke entstanden, durch die um 3 Uhr nachm, die
Engländer einen Vorstoss unternahmen.
Der
Detachementsführer sah sich, begleitet von einem Trompeter,
plötzlich auf 150 m etwa 2 Gruppen feindlicher Schützen gegenüber
und erhielt einen Schuss durch den linken Oberarm.
Nach dem rechten
Flügel zu gelangen war jetzt unmöglich. Bei dem Rückzug fiel der
Trompeter.
4 Uhr nachm,
gelangte der Detachementsführer zum Eukalyptuswald und ordnete das
Zurückbringen der Maschinengewehre Altermath und Baumgart an, welche
durch den englischen Vorstoss im Zentrum gefährdet erschienen. Die
Maschinengewehre nahmen dann im Eukalyptuswald erneut Stellung. Das
Zurücknehmen der Maschinengewehre ging trotz heftigen Feuers ohne
Verluste von Statten.
4 Uhr 30 Minuten
nachm. Der Detachementsführer begab sich zum linken Flügel,
begleitet von Oberarzt Auerbach. Das Gefecht war auch hier zum Stehen
gekommen, Reserven waren
nicht mehr
vorhanden. 5 Uhr 30 Minuten nachm. Der Detachementsführer
beauftragte vom Eukalyptuswald aus den Feldwebel Weber mit dem Abbau
des Lagers, welches um 6 Uhr nachm, erfolgt war. 6 Uhr 15 Minuten
nachm. wurde der Abbruch des Gefechts befohlen. Das Detachement
sollte sich auf den Höhen südwestlich Kisii sammeln. Um den Rückzug
zu verdecken, wurde im Zentrum
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das Feuer der
Maschinengewehre und der Askari für einen kurzen Moment
beschleunigt.
6 Uhr 30 Minuten
baute das Detachement, ohne vom Feind belästigt zu werden, ab. Der
Sol erstieg um diese Zeit mit 2 Gruppen die feindliche Stellung,
welche mit Einbruch der Dunkelheit grössten Teils geräumt war. Erst
um 7 Uhr entschloss sich der Sol, auf Kisii zurückzugehen. Nachdem
um 6 Uhr 30 die Trägerkolonne vom Lager aus aufgebrochen war,
entstand 7 Uhr 15 unter den Trägern eine Panik, wahrscheinlich
infolge eines Gewehrschusses. Etwa 150 Träger warfen die Lasten in
das dichte Gestrüpp abseits des Weges und flohen.
Um 8 Uhr 30 gelangte
der grösste Teil des Detachements auf die Höhen südwestlich Kisii.
Vizefeldwebel Altermath wurde an die Stelle der Panik
zurückgeschickt, fand aber nichts mehr vor.
Alle Lasten waren
teils durch Eingeborene, teils durch Wagaia-Hilfskrieger gestohlen.
12 Uhr nachts. Das
Detachement war grösstenteils versammelt.
13. September. Um 2
Uhr 30 vorm, marschierte das Detachement in südlicher Richtung ab,
da es bei den schweren Verlusten nahe lag, dass die Engländer dem
Detachement von der
Strasse Karungu aus
den Weg abschneiden würden.
10 Uhr 30 vorm, traf
das Detachement nach 8 stündigem Marsch in Uriri, Landschaft Sakwe
ein, ohne mit dem Gegner ernsthafte Zusammenstösse zu haben.
Der
Detachementsführer:
gez. v. Bock
Hauptmann
(Quelle: Deutsch-Ostafrika. Kaiserliches Gouvernement. n.d. [1914]. Zusammenstellung der Berichte über die in den August, September, Oktober 1914 stattgefundenen Gefechte der Kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Morogoro: Regierungsdruckerei.)
Deutsche Truppen am Viktoria-See |
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