Karrikaturen über den Krieg: Das Ende der Zivilisation

"Erbauung der Heiden" von  L. D. Bradley im  Chicago Daily (1914)


Bis zum Ausbruch des Krieges schien es für Europa's Selbstbewusstsein keine Grenzen zu geben. Nahezu der gesamte Globus war unter europäischer Herrschaft.  Hatte die Pax Europaea nicht der ganzen Welt Frieden und Aussicht auf eine glänzende Zukunft gebracht? War nicht die Geisel des Sklavenhandels vom  Erdboden getilgt worden? Waren nicht blutrünstige und rückständige Tyrannen gezüchtigt und in ihre Schranken gewiesen worden? War nicht an die Stelle tyrannischer Willkür Recht und Ordnung moderner Kolonialregierung getreten? Zog nicht dank der aufopfernden und selbstlosen Arbeit der Missionen die Vernunft und Gottesliebe ein und vertrieb Aberglaube und Götzendienerei? Besiegte europäische Medizin nicht langsam die furchtbare Schlafkrankheit und die heimtückischen Pocken? Hatten die Afrikaner nicht lernen können, wie man liest und arbeitet und so teilhaben können an Europas Kultur und Industrie?

Die bejahende Antwort auf diese Fragen fiel dem europäischen Publikum durchaus leicht, auch wenn mitunter verstörende Nachrichten aus Übersee kamen. Leopolds Schweinereien im Kongo waren wochenlang Tagesthema gewesen, Massaker an Frauen und Kinder in Deutsch-Südwestafrika hatten zu erbitterten Debatten im Reichstag geführt. Betrugsaffären, Sexskandale und Prügelorgien von Europas Zivilisierungsagenten ließen manch braven Bürger, der sein monatlichen Obulus für den Kolonialverein entrichtete, mit einem gewissen Unbehagen zurück. 

Schnell jedoch konnte man diese unangenehmen Meldungen mit einem guten Schluck Kakao gewürzt mit Rum vergessen machen, sich über prachtvoll gestaltete Atlanten beugen und mit dem Finger den neusten Entdeckungsreisen folgen, im Hinterzimmer der Bibliothek die mit barbusigen Frauen reich bebilderten Reisewerke durchblättern, während die Kinder in ihrem Zimmer ihre neuesten Sammelkarten von Mohren, Arabern und Kolonialhelden tauschten und die Frau im Kirchenverein Geld für die Entsendung weiterer Missionare nach Afrika sammelte, um ihnen den Teufel, die Sünde und die Nacktheit auszutreiben (weil ihr das neuerliche Interesse ihres Mannes für Anthropologie nicht entgangen war).

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges überraschte wenige, seine mörderische Unerbittlichkeit, seine offene Missachtung jeglicher bürgerlicher Moralvorstellungen dagegen schon. Besonders in den Kolonien, wo  Zivilisation eine ungeheure Bedeutung, monströses Eigenleben gewonnen hatte, reagierte man auf die wilde Gewaltorgie daheim mit großer Sorge. Hervorgekrochen aus den Büchern wortgewandter Professoren, die das überbordende Wissen von der Welt in die Eleganz großer Theorieentwürfe zu bannen suchten, war Zivilisation in den Kolonien zum unerbittlichen Richter geworden. Wer ohne Strafe dahingemetzelt werden konnte, darüber entschied die Zivilisation. Wer seines Bodens, seines Lebens und seines Glaubens beraubt werden konnte, hing von seinem mutmaßlichen Stand der Zivilisation ab. Gegenüber den Heiden, den Wilden gab es kein Erbarmen, mehr Vorsicht übte man gegenüber Muslimen. Zivilisation entschied wer schwerste körperliche Arbeit leisten musste und wer sich im Schaukelstuhl seinen zivilisierten Gedanken hingeben konnte.

Zivilisation war das ererbte Recht der Europäer, denn sie hatten sie ja erfunden. Ihre barbarischen Kriege waren zivilisiert, weil sie gegen Barbaren geführt wurden. Auch wenn die Kriege der Wilden oft mit weitaus weniger Opfern und Gewalt einhergingen, waren es barbarische Kriege, denn ihnen lagen nicht die unpersönlichen Regeln der Zivilisation zugrunde.

Mit dem Ausbruch des Krieges schien es fast so, also ob all die Barbarei der Kolonialkriege nach Europa zurückgekehrt wäre und dort ihr grausames Fest feierte. Nun drohte dieser Krieg auch nach Afrika zu kommen.

Noch bevor der erste Schuss in Ostafrika fiel, löste die Aussicht auf einen Krieg der Europäer in Afrika eine tiefe Verunsicherung aus.  Beamte, Siedler, Geschäftsleute und Missionare sprachen  sich gegen den Krieg in der Kolonie aus. Sie warnten vor unwägbaren Gefahren für Europas immer noch junge und oft auch fragile kolonialen Ordnungen. Gouverneur Schnee befürchtete, dass ein Krieg europäischer Armeen auf afrikanischem Boden unweigerlich zu einem nicht absehbaren Chaos führen würde, das letztendlich auch die europäische Dominanz auf dem Kontinent zu bedrohen in der Lage wäre. Diese Ängste wurden von vielen Deutschen in der Kolonie geteilt. Der Siedler Georg Gürich erinnerte sich in seinem Buch, dass in den ersten Wochen des Krieges die Deutschen eine afrikanische Rebellion mehr fürchteten als eine britische Invasion

Für Europas Ruf als Heilsbringer Afrikas war, so Schnee, der Krieg eine Katastrophe. Schnees Frau Ada pflichtete ihrem Mann bei und notierte in ihren Erinnerungen, dass sie sich angesichts des europäischen Schlachtens auf afrikanischem Boden geschämt habe, vor allem vor den afrikanischen Christen. Gerade diesen hätten die Missionare – gleich ob Deutsche, Briten oder Franzosen – stets die »Lektion der Liebe« gepredigt. Nun aber würden sich die Europäer vor den Augen der Afrikaner gegenseitig abschlachten. Nicht die europäische Zivilisation, wohl aber die deutsche Kultur und ihr Ansehen in Afrika machten dem Offizier Deppe Sorgen. Er verglich die Safari ya Bwana Lettow mit den Söldnerhorden des Dreißigjährigen Krieges:

Denn hinter uns lassen wir zerstörte Felder, restlos geplünderte Magazine und für die nächste Zeit Hungersnot. Wir sind keine Schrittmacher der Kultur mehr; unsere Spur ist gekennzeichnet von Tod, Plünderung und menschenleeren Dörfern, geradeso wie im Dreißigjährigen Krieg nach dem Durchmarsch der eigenen und feindlichen Truppen und ihres Trosses auch nicht blühende Dörfer und Felder zu- rückließen.

Die Europäer in den Kolonien waren mit dieser Interpretation des Krieges nicht allein. Vor allem amerikanische Karikaturisten prangerten Europas verlogene Zivilisierung der Welt an. Für die Kolonialmächte war diese Debatte der Anfang vom Ende. Der Glaube an das natürliche Recht Europas, der Welt ihren Stempel aufzudrücken, war so einfach nicht mehr aufrechtzuerhalten.  








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